aubib.de | Blog https://www.aubib.de/blog/ Wed, 31 May 2023 02:31:15 +0200 Wed, 31 May 2023 02:31:15 +0200 t3extblog extension for TYPO3 Bücherverbrennungen 1933 (III) - Verbrannte Orte #aubib Wed, 24 May 2023 16:00:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/24/buecherverbrennungen-1933-iii-verbrannte-orte/ post-695 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/24/buecherverbrennungen-1933-iii-verbrannte-orte/ Student/in Na, neugierig? Auf dem Blog gibt´s mehr! Bücherverbrennungen 1933 (III) - Verbrannte Orte by Student/in 24-05-23

Categories: Lesestoff

Logo des Projekts "Verbrannte Orte"

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen während der NS-Zeit möchten wir diesen Ereignissen eine kleine Blogreihe widmen, die aus drei Teilen bestehen soll. Im ersten Beitrag wurden die Bücherverbrennungen 1933 in den historischen Kontext eingeordnet und die Rolle, die Bibliothekar:innen dabei spielten, beleuchtet. Im zweiten Beitrag wurden die weiteren Entwicklungen während der NS-Zeit sowie die Wege der verbrannten Werke und ihrer Autor:innen nachgezeichnet. In diesem dritten Teil schließlich wird ein Projekt vorgestellt, das die Orte der Bücherverbrennungen und die lokal unterschiedlichen Abläufe dokumentiert und sichtbar macht.

Bei der Beschäftigung mit den Bücherverbrennungen fragt man sich vielleicht, was von diesen Orten und den Ereignissen, die dort stattgefunden haben, übriggeblieben ist. Wie sehen sie heute aus? Wie wird vor Ort an die Bücherverbrennung erinnert? Nimmt man einen Ort anders wahr, wenn man seine Geschichte kennt?

Aus diesen Fragen entstand ein Projekt, das die Orte der Bücherverbrennungen dokumentiert und online recherchierbar macht. Initiator ist der Fotograf und Erlebnispädagoge Jan Schenck. Die Idee zu dem Projekt kam ihm, als er erfuhr, dass das Hamburger Schwimmbad, das er als Kind besucht hatte, am Schauplatz einer Bücherverbrennung stand. Durch eine Crowd-Funding-Kampagne sammelte er 2013 Gelder, um eine erste Version der Seite verbrannte-orte.de zu erstellen, die er mit einem Team Ehrenamtlicher bis heute weiter ausgebaut hat.

Die Seite bietet einen Atlas mit Markierungen für jede bisher bekannte Bücherverbrennung. Mithilfe von Spenden und Kooperationen mit verschiedenen Partnern vor Ort reist Schenck an die Orte der Verbrennungen und fotografiert, wie sich die Orte heute darstellen. Die von ihm gewählte Perspektive wird oft durch Panoramaaufnahmen ergänzt, sodass man sich ein Bild von der Umgebung machen kann. Außerdem werden je nach Quellenlage Hintergrundtexte oder Archivmaterialien beigefügt, beispielsweise Zeitungsberichte aus den regionalen Medien.

Was die Orte der Bücherverbrennungen besonders macht, ist ihre Banalität. Im Gegensatz zu beispielsweise ehemaligen Konzentrationslagern, die heute als Gedenkstätten besichtigt werden können, fanden die Bücherverbrennungen meist an Plätzen des alltäglichen Lebens statt. So erinnert sich beispielsweise ein Augenzeuge einer Plünderung und Verbrennung in Zwickau, die in einem Zeitungsbericht als „[E]rfolgreiche Abwehr kommunistischer Umtriebe“ bezeichnet wurde, folgendermaßen: „Die Bibliothek, die sich in der Redaktion befand, fiel dem Terror zum Opfer, einen großen Teil der Bücher warfen die SA-Leute aus dem Fenster in den Hof auf einen Scheiterhaufen. […] Die Bilder dieses Ereignisses sind mir noch immer in Erinnerung, war doch der Hof der Treffpunkt und der Spielplatz für alle Kinder der zwei Häuser […].“ Diese merkwürdige Banalität der Orte zeigt sich auch in den aktuellen Bildern, die Ladengeschäfte, Parkhäuser oder Marktplätze abbilden. Teilweise finden sich in den Begleittexten auch gruselige Kontinuitäten: Auf dem Sportplatz in Haslach im Kinzigtal, an dem 1933 eine Bücherverbrennung stattfand, entstand 1944 eine Außenstelle des KZ Natzweiler-Struthof – womit Heinrich Heines Aussage „dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ wohl hinreichend belegt wäre.

Was außerdem auffällt: An den meisten Orten, an denen Bücherverbrennungen stattgefunden haben, finden sich keine Markierungen, die auf die Geschichte des Ortes hinweisen. Während manche, wie der Berliner Bebelplatz (damals Opernplatz) vermutlich bekannt sind, wird die Bücherverbrennung in vielen Fällen wohl auch bei den Menschen vor Ort in Vergessenheit geraten sein. Selbst am Münchner Königsplatz befindet sich erst seit 2021 ein Mahnmal, das an die Bücherverbrennung erinnert.

Um auf diese Geschichte der Orte aufmerksam zu machen, veranstaltet das Team um Jan Schenck neben ihrem Fotoprojekt auch Ausstellungen und Vorträge, aktuell z.B. in Kooperation mit dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt, wo noch bis Anfang Juli die Ausstellung „Verbrannte Orte | Verbannte Worte” besucht werden kann. Auch Lehrmaterialien für Schulklassen werden auf der Seite zur Verfügung gestellt. Seit April 2023 existiert außerdem ein Buch, das aus dem Projekt hervorgegangen ist und Fotografien der verbrannten Orte sowie Aufsätze zu den Bücherverbrennungen und Kurzportraits einiger weniger bekannter Autor:innen enthält, deren Werke verbrannt wurden.

Da bei den Bücherverbrennungen 1933 von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen ist, ist das Projektteam bei der Sammlung der Orte und entsprechender Materialien auf Hilfe angewiesen und nimmt gerne Hinweise entgegen. Insbesondere die Verbrennungen, die außerhalb der „Aktion wider den undeutschen Geist“ beispielweise im Rahmen von Volksfesten und Sonnenwendfeiern stattfanden, sind weniger bekannt und dokumentiert. Jan Schenck betrachtet das Projekt daher als nie wirklich abgeschlossen – selbst wenn irgendwann alle Orte fotografiert sein sollten, die Arbeit gegen das Vergessen geht weiter.

lm

Die Verfasserin dankt Jan Schenck und seinem Team für das interessante Gespräch bei der Frankfurter Buchmesse, Infomaterialien und die Erlaubnis zur Verwendung des Projekt-Logos.


Quellen:

Schuster, Stefanie: Wenn Bücher brennen - Potsdam 1933. Verbrannte Orte sichtbar machen. URL: https://open.spotify.com/episode/29iuleoMtKLVmEmR7di7Hm?si=jO5szgnMSnmI1w2X0wPqNQ, zuletzt aufgerufen am 24.05.2023.

Verbrannte Orte. URL: https://verbrannte-orte.de/, zuletzt aufgerufen am 24.05.2023.

 

Bildquelle:

Logo "Verbrannte Orte" © Jan Schenck/Verbrannte Orte e.V.

 

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WiBitte geht in die dritte Runde #aubib Fri, 19 May 2023 12:20:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/19/wibitte-geht-in-die-dritte-runde/ post-696 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/19/wibitte-geht-in-die-dritte-runde/ Student/in WiBitte geht in die dritte Runde: Die dritte Staffel startet! WiBitte geht in die dritte Runde by Student/in 19-05-23

Categories: Projekt

WiBitte-Logo

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei – deshalb: Vorhang auf für die dritte Staffel des Podcasts „WiBitte – Wissenschaftliche Bibliotheken einfach erklärt“.

2021 ist „WiBitte“ im Rahmen eines studentischen Projekts am Fachbereich Archiv- und Bibliothekswesen der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern entstanden. Bisher sind zwei Staffeln veröffentlicht. Darin werden in Folgen von maximal 15 Minuten verschiedene Angebote von wissenschaftlichen Bibliotheken für Studierende vorgestellt und erklärt.

Neu in der dritten Staffel sind – natürlich neben fünf Folgen mit neuen Themen – vor allem zwei Dinge: Nachdem die ersten beiden Staffeln in kleinen Teams als sogenannte „studentische Teamprojekte“ entstanden sind, hat diesmal ein ganzer Kurs von 20 Studierenden das Abenteuer gewagt, die Staffel gemeinsam zu produzieren.

Außerdem drehen sich die neuen Folgen rund um das Thema Publizieren und richten sich damit weniger an Bibliotheks-Neulinge, sondern in erster Linie an ein Publikum, das bereits seinen Platz an der Uni gefunden hat und bald eigene Forschung veröffentlichen will.

Wie bitte? Wissenschaftliche Bibliotheken unterstützen auch beim Publizieren von Forschungsarbeiten?

Wer die neuen Folgen von „WiBitte“ gehört hat, kann diese Frage mit einem klaren „Ja!“ beantworten. Die fünf Folgen geben einen Überblick über den klassischen Verlagsweg, das Open-Access-Publizieren, den Umgang mit Forschungsdaten und das allgegenwärtige Thema Bibliometrie, besser bekannt als Impact-Factor, h-Index, Altmetrics und Co. – und sie zeigen, an welchen Stellen Bibliotheken konkret weiterhelfen können, zum Beispiel bei der Finanzierung oder mit der Bereitstellung von Repositorien.

Wer finanziert eigentlich Open-Access-Publikationen? Was verbirgt sich hinter diesem Datenmanagementplan, den mein Drittmittelgeber fordert? Und wie kommt der Impact-Factor meines Artikels zustande? Allen, die sich solche oder ähnliche Fragen stellen, hilft die neue Staffel weiter.

Jede Folge dauert etwa zehn Minuten, kann also ganz bequem auf dem Weg in die Uni, beim Einkaufen oder einfach mal zwischendurch gehört werden. Über die Links in den Shownotes ist es außerdem möglich, sich zielgerichtet weiter zu informieren.

Wer neugierig geworden ist, kann bereits jetzt in den Trailer hineinhören. Die neuen Folgen werden dann ab dem 2. Juni im Zwei-Wochen-Rhythmus veröffentlicht. Zu finden ist WiBitte auf Podcaster und Spotify, aber auch auf YouTube und anderen Plattformen (z.B. Apple Podcasts).

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Bücherverbrennungen 1933 (II) - „Doch war es nur Papier, was sie verbrannt“ #aubib Wed, 17 May 2023 18:00:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/17/buecherverbrennungen-1933-ii-doch-war-es-nur-papier-was-sie-verbrannt/ post-694 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/17/buecherverbrennungen-1933-ii-doch-war-es-nur-papier-was-sie-verbrannt/ Student/in Der zweite Teil der Reihe zur Bücherverbrennung zeigt, wie sich die Kontrolle und Zensur durch die Nazis nach den Verbrennungen 1933 entwickelte, berichtet von ersten Sammlungen verbrannter Bücher und... Bücherverbrennungen 1933 (II) - „Doch war es nur Papier, was sie verbrannt“ by Student/in 17-05-23

Categories: Bibliotheken | Deutschland Lesestoff

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen während der NS-Zeit möchten wir diesen Ereignissen eine kleine Blogreihe widmen, die aus drei Teilen bestehen soll. Im ersten Beitrag wurden die Bücherverbrennungen 1933 in den historischen Kontext eingeordnet und die Rolle, die Bibliothekar:innen dabei spielten, beleuchtet. In diesem zweiten Beitrag werden die weiteren Entwicklungen während der NS-Zeit sowie die Wege der verbrannten Werke und ihrer Autor:innen nachgezeichnet. Im dritten Teil schließlich wird ein Projekt vorgestellt, das die Orte der Bücherverbrennungen und die lokal unterschiedlichen Abläufe dokumentiert und sichtbar macht.

Die Bücherverbrennungen unter den Nationalsozialisten endeten nicht mit dem 10. Mai. Auch in den darauffolgenden Wochen und den gesamten Sommer 1933 hindurch fanden Verbrennungen statt, die von der studentischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ inspiriert waren und unter anderem von der Hitlerjugend durchgeführt wurden. Auch wurden nach dem 10. Mai von Wolfgang Herrmann und seinen Mitarbeitern weitere Schwarze Listen erstellt und versandt, die für Aussonderungen in (meist öffentlichen) Bibliotheken oder Beschlagnahmungen verwendet wurden. Wie die zuvor erstellten Listen erhoben auch die weiteren keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sodass sich nicht hundertprozentig nachvollziehen lässt, welche Werke in den einzelnen Fällen tatsächlich verbrannt wurden.

Die Verbrennungen lösten ein großes Echo im Ausland aus, insbesondere dort, wo bereits viele Menschen aus Deutschland hin geflüchtet waren. Bereits die Ankündigung der Bücherverbrennung hatte Reaktionen von vielen Autor:innen hervorgerufen. Am 10. Mai gab es in mehreren US-amerikanischen Städten Protestmärsche; allein in New York City waren etwa 100.000 Menschen auf der Straße. In den Medien wurden die Verbrennungen teils als lächerlich und überzogen dargestellt, teils aber auch als dramatisch und sogar als „holocaust“ (News-Week) oder „bibliocaust“ (Time) bezeichnet.

US-amerikanisches Poster des "War Information Office" zur Bücherverbrennung (1942)
US-amerikanisches Poster des "War Information Office" zur Bücherverbrennung (1942)

Die Autor:innen, deren Werke verbrannt wurden, befanden sich teilweise bereits im Ausland, teils auch noch in Deutschland – und wohnten in manchen Fällen sogar selbst der Verbrennung bei.

Erich Kästner fand sich am 10. Mai auf dem Opernplatz in Berlin ein, wo er zusah, wie seine Werke (laut der Schwarzen Liste „alles außer Emil“) in die Flammen geworfen wurden, während der Feuerspruch ertönte: „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!“ Seine Partnerin Luiselotte Enderle berichtete später darüber: „Er wollte diesem Wahnsinn seine Faust zeigen. Auch wenn er das geballte Fäustchen in der Tasche behalten musste.“

Portrait Erich Kästners (ca. 1930)
Portrait Erich Kästners (1930)

Auch Elisabeth Castonier, die in München ihre ersten Erfahrungen als Schriftstellerin sammelte, war am 10. Mai bei der Bücherverbrennung in Berlin und beschrieb das Erlebnis später in ihren Memoiren "Stürmische Zeiten": „Die Vernichtung ,undeutscher Autoren’ durch Verbrennung wurde groß aufgezogen und psychologisch glänzend vorbereitet. Die Männer, die vor der Renaissance mittelalterlicher Barbarei gewarnt hatten, waren bereits im Exil. [...] [D]ergleichen sieht man nur einmal im Leben – und außerdem war es gut, Zeuge gewesen zu sein.“ Dass auch ihre eigenen Werke unter den verbrannten waren, wusste die Autorin am Tag der Verbrennung noch nicht. Castonier, die den Nationalsozialisten als "Halbjüdin" galt und das NS-Regime in ihren Schriften immer wieder kritisierte, floh schließlich über Österreich und Italien nach England, wo sie weiter schriftstellerisch tätig sein konnte.

Manche reagierten auch mit Sarkasmus auf die Zerstörung. Der Autor Oskar Maria Graf, der in Berg am Starnberger See geboren und lange in München schriftstellerisch tätig gewesen war, befand sich seit Anfang 1933 in Wien. Er ging fälschlicherweise davon aus, seine Werke seien nicht verbrannt worden, und äußerte sich in der Wiener Arbeiter-Zeitung bestürzt: „Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!“

Poster zu einer Lesung Oskar Maria Grafs in Wien
Poster zu einer Lesung Oskar Maria Grafs in Wien

Alfred Döblin zeigte sich in einem Brief an Ferdinand Lion weitsichtig: „Am 10. Mai ist autodafé, ich glaube, der Jude meines Namens ist auch dabei, erfreulicherweise bloß papieren. So ehrt man mich. Aber die Sache hat doch zwei Seiten: nämlich wie wird es später sein, in 1 Jahr, in 2 Jahren, wann wird die "Gleichschaltung der Verlage" erfolgen? Arzt kann ich nicht mehr sein im Ausland, und schreiben wofür, für wen? Ich mag über dieses fatale Kapitel nicht nachdenken."

Alfred Döblin (1930)
Portrait Alfred Döblins

Tatsächlich setzten die Nazis in der Folge weitere Verordnungen und Verbote durch, die die Kulturschaffenden im Land zunehmend in ihrer Arbeit einschränkten. Mit der Einrichtung der Reichskulturkammer im selben Jahr wurde eine zentrale Organisation zur Kontrolle und Zensur der Kulturbranche geschaffen, die von nun an überwachte, wer künstlerisch oder journalistisch aktiv war, und ab 1935 in Fortsetzung der Schwarzen Listen regelmäßig die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ herausgab. Darauf fanden sich, ähnlich wie auf den Schwarzen Listen Wolfgang Herrmanns, Werke von jüdischen Autor:innen, politische und pazifistische Schriften, Religiöses, Werke zu Themen wie Frauenrechten oder Sexualität und ähnliches. Auch Autor:innen und Verlage, deren gesamtes Programm zu beschlagnahmen war, waren auf den Listen aufgeführt.

Die immer extremeren Repressionsmaßnahmen des NS-Regimes führten dazu, dass sich im Ausland Ersatzstrukturen bildeten, durch die in Deutschland Verbotenes weiter publiziert werden konnte. Nicht nur Autor:innen, sondern ganze Verlage und Produktionsstätten wanderten ins Exil ab und formierten sich dort neu. Ein bekannteres Beispiel ist der Querido-Verlag, der im Juli 1933 durch den ehemaligen Verlagsleiter von Kiepenheuer und einem niederländischen Verleger in Amsterdam gegründet wurde. Im Querido-Verlag publizierten unter anderem Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun und mehrere Mitglieder der Familie Mann, deren Bücher in Deutschland verbrannt worden waren. Die Verlagstätigkeit war jedoch sehr erschwert, dadurch dass sowohl das Lesepublikum als auch die Autor:innen über viele Länder verstreut waren und sich über die nächsten Jahre durch neue Kriegsfronten auch neue Fluchtbewegungen ergaben. Nach der Besetzung der Niederlande durch die Nazis 1940 wurde der Verlag schließlich zerstört und der niederländische Namensgeber mit seiner Ehefrau im KZ ermordet. Ein weiterer Exil-Verlag in den Niederlanden, der Alleret de Lange Verlag, der ebenfalls 1933 von zwei ehemaligen Kiepenheuer-Mitarbeitern gegründet worden war, wurde 1940 ebenso beschlagnahmt.

Auch viele Zeitungen, die in Deutschland nun verboten waren und deren Büros geplündert und zerstört worden waren, verlegten ihre Tätigkeit ins Ausland. Laut der Ausstellung „Presse in der Zeit des Nationalsozialismus“ der Deutschen Digitalen Bibliothek gründeten sich über 400 verschiedene Exilmedien, die im Ausland oft unter schwierigen Bedingungen arbeiteten und drucken ließen, um ihre Druckerzeugnisse unter der deutschsprachigen Exilbevölkerung zu verbreiten und auch nach Deutschland zu schmuggeln.

Bereits in den ersten Jahren nach den Bücherverbrennungen gab es einen ersten Versuch, Exemplare der in Deutschland verbrannten, verbotenen und zensierten Werke zu einer Bibliothek zusammenzustellen. In Paris eröffnete am ersten Jahrestag der Bücherverbrennung des 10. Mai die Deutsche Freiheitsbibliothek, die von deutschsprachigen Exilant:innen initiiert worden war und Heinrich Mann zum Präsidenten hatte. Ziel der Bibliothek war es laut ihrer Ankündigung, zu demonstrieren, dass „alle diese Werke des menschlichen Geistes für die Kultur nicht verloren sind, sondern für diejenigen zugänglich bleiben, die für die Freiheit, den Fortschritt, eine neue und bessere Ordnung kämpfen“. Neben verbrannten und verbotenen Werken sammelte sie auch Bücher zum Nationalsozialismus und integrierte die Privatbibliotheken Geflüchteter in ihre Bestände. Auch Flugblätter, Broschüren und Protestaufrufe, die auf den verschiedensten Wegen zu den Beteiligten kamen, wurden gesammelt, um den Widerstand gegen den Faschismus zu dokumentieren. Die Finanzierung wurde durch internationale Spenden gewährleistet. Sieben Jahre lang fungierte die Bibliothek als Refugium für deutschsprachige Exilant:innen, als Kultur- und Dokumentationszentrum, bis sie 1940 bei der Besetzung Frankreichs durch die NS-Truppen zerstört wurde. Mitbegründer Alfred Kantorowicz erinnerte sich später: „Wie viele damals aufgaben […] oder ihren Henkern ausgeliefert wurden […]. Es war in Europa die Stunde Null für die deutschsprachigen Exilschriftsteller […].“

Bei dem Versuch, die weiteren Lebenswege der Schriftsteller:innen, deren Bücher 1933 verbrannt wurden, nachzuverfolgen, zeigen sich sehr unterschiedliche Schicksale. Insbesondere Jürgen Serkes „Die verbrannten Dichter“, das 1977 erstmals erschien, und Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ von 2008 sammelten viele Lebensgeschichten, so weit sie sich rekonstruieren ließen. Sie fanden dabei viele, die, wie von Kantorowicz erwähnt, aufgaben und in den Selbstmord gingen, beispielsweise Ernst Toller, Stefan Zweig, Walter Benjamin und Ernst Weiß, die sich alle auf der Flucht oder bereits im Exil aus Verzweiflung das Leben nahmen. Andere, wie Erich Mühsam, Gertrud Kolmar, Georg Hermann, Jakob van Hoddis, Carl von Ossietzky oder Theodor Wolff, wurden von den Nazis ermordet. Bei manchen verlor sich die Spur lange, wie bei Maria Leitner, die für riskante Reportagen bekannt war und sich auch nach der Machtergreifung immer wieder nach Deutschland schmuggelte und von dort berichtete. Nach ihrer Flucht aus dem Internierungslager Gurs galt sie lange als verschollen, bis nachgewiesen werden konnte, dass sie im Untergrund an Erschöpfung und Hunger starb. Manche der verbrannten Autor:innen konnten nach Ende des zweiten Weltkriegs schriftstellerisch wieder an frühere Erfolge anknüpfen, wie beispielsweise Anna Seghers und Vicki Baum, erstere in der DDR lebend, letztere nach ihrer Emigration in den USA. Andere gaben das Schreiben auf oder gerieten in Vergessenheit, so zum Beispiel Irmgard Keun, die erst Jahrzehnte nach ihren Veröffentlichungen wiederentdeckt wurde. Da schwer nachzuvollziehen ist, welche Werke den vielen Bücherverbrennungen 1933 zum Opfer fielen, gibt es sicher Autor:innen, von denen wir heute gar nichts wissen.

Die Gründe, warum viele Autor:innen und ihre Werke in Vergessenheit gerieten, sind vielfältig. Zum einen gab es auch nach Kriegsende teilweise Kontinuitäten aus der NS-Zeit im Verlagswesen und (insbesondere in der BRD) weiterhin andauernde Vorbehalte gegenüber Personen, die von den Nazis verfemt und verboten worden waren. Zum anderen war schlichtweg die Infrastruktur, die zur Buchproduktion benötigt wurde, zerstört. Es fehlte an Druckereien, Materialien und auch an Druckerlaubnissen, die von den Alliierten vergeben wurden. Diese importierten bevorzugt eigene Werke in Übersetzung, sodass ausländische Werke oftmals die Lücken füllten, die die verbotenen Werke hinterlassen hatten. Bei einer Neuauflage verbotener Werke stellten sich darüber hinaus rechtliche Fragen, die zu klären meist schwierig waren. Die Rechteinhaber der Werke bzw. ihre Nachkommen mussten ausfindig gemacht werden, die rechtliche Lage abgeklärt und eine Erlaubnis zur Neuauflage erteilt werden. Besonders bei Personen, die in der NS-Zeit ermordet worden waren, erwies sich die Suche als kompliziert, was zu der traurigen Situation führte, dass ihre Werke wohl besonders häufig zu den vergessenen, nie wieder erschienenen gehören.

Ein Verlag, der diverse verbrannte Werke neu publiziert hat, ist der Fischer Verlag. Während der NS-Zeit drohte dem Fischer Verlag die „Arisierung“, d.h. die erzwungene Übernahme durch die Nazis. Um diesem Schicksal zu entgehen, übertrug die Familie Fischer die Rechte an eine AG in der Schweiz und verließ Deutschland selbst. Bis zum Kriegsende veröffentlichte der Verlag im Ausland weiter Werke von Autor:innen, die in Deutschland nicht mehr publizieren durften, und erwarb zusätzlich die Rechte an den Werken bekannter US-amerikanischer Autor:innen, wodurch sich der Verlag finanziell über Wasser halten konnte. Nach Kriegsende kehrte der Verlag nach Deutschland zurück und Neuauflagen verbrannter Werke wurden im Fischer Verlag wie auch im Suhrkamp Verlag, der sich von Fischer abspaltete, veröffentlicht. Auch weitere Verlage wie Kiepenheuer & Witsch, Claasen, Rowohlt und Langen-Müller bemühten sich um die Wiederbelebung vergessener Werke.

Mit der Sammlung Georg P. Salzmann, die sich heute in der Universitätsbibliothek Augsburg befindet, existiert heute eine umfangreiche Sammlung von ca. 9700 Werken, die 1933 verbrannt wurden. Durch die Erschließung dieser Werke und die Bereitstellung für die Öffentlichkeit sollen sie vor dem Vergessen bewahrt und wieder neu entdeckt werden.  

lm


Zitat im Titel: Weinert, Erich: Der Brand auf dem Opernplatz. Zitiert nach Treß (2003).

 

Deutsche Digitale Bibliothek: Virtuelle Ausstellung "Presse in der Zeit des Nationalsozialismus". URL: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/ns-presse/, zuletzt aufgerufen am

Eintrag "Immediate American responses to the Nazi book burnings". In: United States Holocaust Memorial Museum: Holocaust Encyclopedia. URL: https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/immediate-american-responses-to-the-nazi-book-burnings, zuletzt aufgerufen am 17.05.2023.

Graf, Oskar Maria: „Unter Vorzensur". Arbeiter-Zeitung. Zentralorgan der Sozialdemokratie Deutschösterreichs. Nr. 130. Wien, 12. Mai 1933, 46. Jahrgang, zitiert nach: Karl, Michaela: „Verbrennt mich!“ – Oskar Maria Graf. In: Literaturportal Bayern. URL: https://www.literaturportal-bayern.de/themen?task=lpbtheme.default&id=649, zuletzt aufgerufen am 17.05.2023.

Hermanns, Doris: Verboten und verbrannt - Autorinnen und die Bücherverbrennung: Elisabeth Castonier. URL: https://blog.buecherfrauen.de/verboten-und-verbrannt-autorinnen-und-die-buecherverbrennung-elisabeth-castonier/, zuletzt aufgerufen am 17.05.2023.

Kantorowicz, Alfred: Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Hamburg, Hans Christians Verlag, 1978.

Rose, Gabriele: Deutsche Literatur im Exil - Der Querido-Verlag. URL: https://www.fes.de/bibliothek/artikelseite-bibliothek/deutsche-literatur-im-exil-der-querido-verlag, zuletzt aufgerufen am 18.05.2023.

Schumann, Uwe-Jens: "Es war widerlich". In: DER SPIEGEL. 08.05.2013. URL: https://www.spiegel.de/geschichte/schriftsteller-erich-kaestner-und-die-buecherverbrennung-1933-a-951105.html, zuletzt aufgerufen am 18.05.2023.

Treß, Werner: Wider den undeutschen Geist. Bücherverbrennung 1933. Berlin, Parthas, 2003.

Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2015.

 

Bildquellen:

Titelbild: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Austria, Inventarnummer PLA16317632. URL: www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDetail.aspx

Bild 1: Government & Geographic Information Collection, Northwestern University Libraries. "Books are weapons in the war of ideas", World War II Poster Collection. URL: https://dc.library.northwestern.edu/items/d271017e-b2fc-4335-95a3-9d815cf3cd24

Bild 2: Grete Kolliner, Public domain, via Wikimedia Commons

Bild 3: Autor/-in unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

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Bücherverbrennungen 1933 (I) - "Das Buch ist eine Waffe" #aubib Wed, 10 May 2023 16:00:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/10/buecherverbrennungen-1933-i-das-buch-ist-eine-waffe/ post-692 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/10/buecherverbrennungen-1933-i-das-buch-ist-eine-waffe/ Student/in Der erste Teil einer Reihe zur Bücherverbrennung 1933 behandelt die Bücherverbrennungen und die Rolle, die Bibliothekar:innen und die Berufsverbände dabei spielten. Bücherverbrennungen 1933 (I) - "Das Buch ist eine Waffe" by Student/in 10-05-23

Categories: Bibliotheken | Deutschland Lesestoff

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen während der NS-Zeit möchten wir diesen Ereignissen eine kleine Blogreihe widmen, die aus drei Teilen bestehen soll. In diesem ersten Beitrag werden die Bücherverbrennungen 1933 in den historischen Kontext eingeordnet und die Rolle, die Bibliothekar:innen dabei spielten, beleuchtet. In einem zweiten Beitrag nächste Woche werden die weiteren Entwicklungen während der NS-Zeit, die Wege der verbrannten Werke und ihrer Autor:innen nachgezeichnet. Im dritten Teil schließlich wird ein Projekt vorgestellt, das die Orte der Bücherverbrennungen und die lokal unterschiedlichen Abläufe dokumentiert und sichtbar macht.

Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz

Bereits vor den Bücherverbrennungen im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“, die maßgeblich von der Deutschen Studentenschaft (DSt) koordiniert und durchgeführt wurde, kam es zu Plünderungen und Verbrennungsaktionen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 20. Januar 1933, bei der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, wurden diverse Notverordnungen erlassen, durch die das demokratische Leben stark eingeschränkt wurde. Die Presse und der Literaturbetrieb, die bereits in den Jahren vor der Machtergreifung durch Zensurbestrebungen und Beschlagnahmungen „gefährlicher“ (politisch kritischer) Schriften eingeschränkt worden waren, sollten weitgehend gleichgeschaltet werden. Während die NSDAP-Parteipresse zuvor nur einen kleinen Teil ausgemacht hatte, fanden nun massive Eingriffe statt, die die Macht des NS-Regimes ausbauen sollten; es kam zur Übernahme von Verlagen durch NS-Funktionäre, Verhaftungen oder Vertreibungen kritischer Stimmen. Besonders betroffen waren kommunistisch und sozialistisch geprägte Publikationen. Hierbei fanden bereits im März 1933 erste Verbrennungen statt, beispielsweise bei der Stürmung und Plünderung der Büroräume der Dresdner Volkszeitung durch SA-Männer. Ebenfalls in diese Monate fällt die Stürmung vieler Gewerkschaftshäuser, die geplündert und deren Bibliotheken beschlagnahmt oder verbrannt wurden.

Der Ursprung der Idee zur „Aktion wider den undeutschen Geist“, im Zuge dessen viele studentisch organisierte Bücherverbrennungen stattfanden, ist nicht hundertprozentig geklärt. Teilweise wurde eine zentrale Organisation durch Goebbels‘ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vermutet, mittlerweile geht man jedoch davon aus, dass der Impuls für die Aktion aus der Deutschen Studentenschaft kam, die mit einer aufsehenerregenden Aktion ihre Stellung im NS-Staat sichern wollte. Die DSt hatte einige Jahre zuvor ihren Status als offizielle Vertretung der deutschen Studierenden verloren und zudem mit inneren Streitigkeiten und konkurrierenden Kräften zu kämpfen. Sie befand sich in Konkurrenz zum Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), wobei sich beide Organisationen ideologisch sehr ähnlich waren.

Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ war für April und Mai geplant, mit den Bücherverbrennungen, die am 10. Mai in möglichst vielen Städten stattfinden sollten, als Fanal. Für die Kommunikation mit den einzelnen Studentenschaften und der Presse wurde in Anlehnung an Goebbels‘ Propagandaministerium ein „Hauptamt für Presse und Propaganda“ gegründet, das Anfang April die offizielle Verkündung der geplanten Aktion und die Verbreitung der „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ übernahm. Die 12 Thesen, die an vielen deutschen Hochschulen ausgehängt wurden, zeigen deutlich, wie Juden und Jüdinnen als „undeutsch“, als andersartig und böse dargestellt wurden. Die Forderungen nach der „Reinheit“ der deutschen Sprache und der Hochschulen wurden schon bald verknüpft mit Boykott- und Vertreibungsaktionen, die sich gegen jüdische Professor:innen und Studierende richteten. Auch die folgenden Plünderungen und Verbrennungen zeichnen sich in den 12 Thesen bereits ab: „Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.“

Flugblatt „12 Thesen wider den undeutschen Geist“
Flugblatt „12 Thesen wider den undeutschen Geist“

In den Tagen vor den Bücherverbrennungen organisierten die Kampfausschüsse Sammelaktionen, bei denen als schädlich oder „undeutsch“ eingestufte Literatur aus Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt wurde, was oft in Plünderungen und Zerstörung ausartete.  Die Bibliotheken waren auch dazu aufgerufen, selbst ihre Bestände auf zu vernichtende Werke hin zu untersuchen und diese freiwillig an Sammelstellen in den Häusern der Studentenschaften oder burschenschaftlichen Verbindungshäusern abzuliefern. Als Richtlinie dafür, was auszusondern war, galten sogenannte Schwarze Listen, die von einer Kommission unter Leitung des Berliner Bibliothekars Wolfgang Herrmann zusammengestellt wurden. Darauf fanden sich unter anderem Werke von jüdischen, sozialistischen, kommunistischen, pazifistischen oder in irgendeiner Weise „volkszersetzenden“ Personen. Die Listen sowie der genaue Wortlaut der "Feuersprüche", die bei den Verbrennungen rezitiert werden sollten, wurden in den Wochen vorher an die Einzelstudentenschaften versandt, wobei auch darauf hingewiesen wurde, dass auch über die Listen hinaus nach eigener Einschätzung Literatur beschlagnahmt werden solle. Lediglich die Verbrennung folgender Autoren, die explizit in den Feuersprüchen genannt wurden, sollte in allen Städten vorgenommen werden: Karl Marx, Karl Kautsky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster, Siegmund Freund, Emil Ludwig, Werner Hegemann, Theodor Wolff, Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.

Einen besonderen Schwerpunkt legte Herrmann auch auf die Sexualmoral, wodurch das Berliner Institut für Sexualwissenschaft, geleitet von Magnus Hirschfeld, in den Fokus der Stoßtrupps geriet. Hirschfeld, der als Pionier der Sexualforschung galt und sich für die Rechte von homosexuellen und trans Menschen einsetzte, befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil. Seine Institutsbibliothek sowie eine Büste Hirschfelds wurden in Berlin verbrannt.

Verladung von zu verbrennenden Werken in Berlin
Verladung von zu verbrennenden Werken in Berlin
Berliner Studenten und SA-Männer mit beschlagnahmten Werken
Berliner Studenten und SA-Männer mit beschlagnahmten Werken

Wolfgang Herrmann befürwortete ein besonders hartes Vorgehen gegen Buchhandlungen und Leihbüchereien, die Bücher gegen ein Entgelt verliehen und stärker am Geschmack ihrer Kundschaft orientiert waren als die öffentlichen Büchereien, welche sich häufig eher in einer erzieherischen Rolle sahen. In den kommerziellen Leihbüchereien vermutete Herrmann daher besonders viel „Schmutz- und Schundliteratur“, weshalb er die Studentenschaft dazu anhielt, auch die hinteren Regale und Lagerräume auf verstecktes Material zu untersuchen: „Heute haben die Leihbüchereien natürlich durchweg nationale Literatur vorn. Vor wenigen Wochen waren sie fast durchweg noch literarische Bordelle."

Die am besten dokumentierte Bücherverbrennung fand in Berlin statt, wo am Abend des 10. Mai rund 25.000 Bücher von etwa 100 Autor:innen verbrannt wurden. Da die Presse zuvor informiert und geladen worden war, war der Platz von Scheinwerfern hell erleuchtet und das gesamte Ereignis wurde im Radio übertragen. Nachdem die Bücher unter großem Applaus und Gesangin die Flammen geworfen worden waren, hielt Joseph Goebbels eine Rede, in der er gegen „Schmutz“ und „Untermenschentum“ hetzte und den „neuen Geist“ beschwor, der aus der Asche der verbrannten Bücher emporsteigen sollte. Die anwesende Blaskapelle unterstrich seine Rede mit dem Lied „Volk ans Gewehr“.

Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Mitglied der SA beim Verbrennen der Bücher in Berlin
Mitglied der SA beim Verbrennen der Bücher in Berlin

In München begann der Abend des 10. Mai mit einem Festakt an der Münchener Universität, bei der unter anderem die Rektoren der Universität und der Technischen Hochschule sprachen. Auch der bayerische Kultusminister Hans Schemm hielt eine Rede, in der er die jüdische Bevölkerung in Deutschland als „einheimische Ausländer“ bezeichnete, die einen schlimmeren Krieg gegen die „deutsche Seele“ führten als jeder andere Krieg zuvor. Nach dem Festakt begab sich ein Fackelzug über die Ludwigsstraße und die Brienner Straße (damals Adolf-Hitler-Straße) vorbei am Braunen Haus zum Königsplatz, wo bis zu 70.000 Menschen der Bücherverbrennung beiwohnten.

Scheiterhaufen auf dem Münchner Königsplatz
Scheiterhaufen auf dem Münchner Königsplatz

In den öffentlichen Bibliotheken, denen in der NS-Zeit eine Rolle als Vermittlerinnen der NS-Ideologie an die Deutschen zukommen sollte, stieß die Aktion insgesamt auf wenig Widerstand. Der Verband Deutscher Volksbibliothekare (VDV) brachte seine Loyalität zum Ausdruck und erklärte, „die völlige Durchdringung des deutschen Volkes mit nationalsozialistischem Denken, Fühlen und Wollen“ anzustreben. Teilweise führten Volksbüchereien bereits vor den offiziellen Beschlagnahmungen Aussonderungsaktionen durch. Einzelne Bibliotheksleitungen beteiligten sich mit Reden anlässlich der Verbrennungen. Wenige Fälle von Weigerungen und Einbehalten der beanstandeten Bücher sind z.B. aus Würzburg bekannt. Offener Widerstand oder nicht ausreichende Kooperation wurde jedoch oft bestraft und die Widerständler durch linientreue Beamte ersetzt.

Auch der Verein Deutscher Bibliothekare (VDB), der die Beschäftigten in wissenschaftlichen Bibliotheken vertrat, äußerte sich positiv über die „Säuberungsaktionen“. Wissenschaftliche Bibliotheken waren weniger stark unter Druck, ihre Bestände auszusortieren, und waren selten von Plünderungen betroffen. Vereinzelte Aufforderungen zur Herausgabe beanstandeter Werke zwecks Verbrennung am 10. Mai wurden beispielsweise von der Bayerischen Staatsbibliothek abgelehnt. Andernorts wurden die Vorgaben unterlaufen und lediglich Dubletten oder veraltete Literatur abgeliefert. Dennoch machten die wissenschaftlichen Bibliotheken längst nicht all ihre Bestände für die Benutzung zugänglich. Als schädlich angesehene Literatur wurde den Nutzenden nicht mehr präsentiert, sondern meist sekretiert und nicht mehr offiziell verzeichnet, wodurch die Werke und ihre Autor:innen zumindest vorübergehend ebenfalls unsichtbar gemacht wurde.

lm


Zitat im Titel in Gänze:  „Das Buch ist eine Waffe, Waffen gehören in die Hände von Kämpfern, Kämpfer für Deutschland zu sein, heißt, Nationalsozialist zu sein.“ Wilhelm Baur, Vorsteher des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel und Leiter des NSDAP-Parteiverlages Eher, 1940, zitiert nach Graf S. 15.

 

Quellen:

Deutsche Digitale Bibliothek: Virtuelle Ausstellung "Presse in der Zeit des Nationalsozialismus". URL: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/ns-presse/, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Graf, Angela: "April/Mai 1933 - Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ und die Bücherverbrennungen". In: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: Verbrannt, geraubt, gerettet! Bücherverbrennungen in Deutschland. Bonn, 2003, S. 9-22.

Kühnert, Jürgen: "Bücherverbrennungen (1933)". In: Historisches Lexikon Bayerns. URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCcherverbrennungen_(1933), zuletzt aufgerufen am 10.05.2023.

NS-Dokumentationszentrum München: "Die Bücherverbrennungen in Deutschland und München". URL: https://www.nsdoku.de/historischer-ort/koenigsplatz/buecherverbrennungen-1933, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Pohlmann, Tobias: "Erfüllungsgehilfen? Die Rolle der Bibliotheken im Rahmen der Bücherverbrennung 1933". In: Perspektive Bibliothek 1.2, 2012, S. 193-221.

Treß, Werner: Wider den undeutschen Geist. Bücherverbrennung 1933. Berlin, Parthas, 2003.

Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2015.

 

Bildquellen:

Bild 1: United States Holocaust Memorial Museum, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa26358, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 2: Flugblatt "12 Thesen wider den deutschen Geist", Original: Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I, via Wikimedia Commons.

Bild 3: United States Holocaust Memorial Museum, Fotograf: Abraham Pisarek, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa4499, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023..

Bild 4: United States Holocaust Memorial Museum, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa4503, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 5: Bundesarchiv, Bild 102-14597, Fotograf: Georg Pahl, via Wikimedia Commons.

Bild 6: United States Holocaust Memorial Museum, URL: collections.ushmm.org/search/catalog/pa26364, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 7: Völkischer Beobachter, Süddeutsche Ausgabe. München, 12.5.1933.

 

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Eine bibliothekarische Reise um die Welt - neue Ländersteckbriefe online #aubib Tue, 09 May 2023 15:00:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/09/eine-bibliothekarische-reise-um-die-welt-neue-laendersteckbriefe-online/ post-693 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/09/eine-bibliothekarische-reise-um-die-welt-neue-laendersteckbriefe-online/ Student/in Wie wird man Bibliothekarin in Thailand? Und was machen eigentlich die vielen ukrainischen Nationalbibliotheken? Kurs 21/24 ist solchen Fragen auf den Grund gegangen und hat neue Ländersteckbriefe zum... Eine bibliothekarische Reise um die Welt - neue Ländersteckbriefe online by Student/in 09-05-23

Categories: Projekt

Weltkarte

Kurs 21/24 hat das Projekt der beiden Vorgängerkurse fortgeführt und weitere Steckbriefe zum internationalen Bibliothekswesen erstellt.

Wir laden euch ein auf die Reise in folgende Länder:

Bhutan - Bulgarien - Costa Rica - Georgien - Griechenland - Iran - Kolumbien - Lettland - Litauen - Marokko - Mexiko - Moldau - Nigeria - Rumänien - Slowenien - Thailand - Ukraine - Venezuela - Zypern

Wenn euch also interessiert, was eine öffentliche Bibliothek in Bulgarien bietet, was die vielen ukrainischen Nationalbibliotheken tun oder wie in Nigeria aus einer kleinen WhatsApp-Gruppe eine landesweite Bibliothekskonferenz wurde, klickt hier auf unsere Projekte-Seite und stöbert im Dropdown-Menü in den mittlerweile 74 Ländersteckbriefen.

lm

 

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Die Grande Nation und der Fall Google #aubib Wed, 03 May 2023 16:00:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/03/die-grande-nation-und-der-fall-google/ post-691 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/03/die-grande-nation-und-der-fall-google/ Student/in „Wir befinden uns im Jahr 2005 n. Chr. Ganz Gallien ist von den Amerikanern besetzt... Ganz Gallien? Nein! Eine von unbeugsamen Galliern bevölkerte Nationalbibliothek hört nicht auf, dem Eindringling... Die Grande Nation und der Fall Google by Student/in 03-05-23

Categories: Bibliotheken | International Lesestoff

Lesesaal der französischen Nationalbibliothek

„Wir befinden uns im Jahr 2005 n. Chr. Ganz Gallien ist von den Amerikanern besetzt... Ganz Gallien? Nein! Eine von unbeugsamen Galliern bevölkerte Nationalbibliothek hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ So oder so ähnlich klang so mancher Bericht, als Mitte der 2000er in Frankreich auf einmal ein Thema in den Schlagzeilen war, das auf den ersten Blick nicht wie ein großer Aufmacher wirken mag: die Digitalisierungspolitik europäischer Bibliotheken. Doch um dieses Thema entspann sich ein Streit, in dem es um Grundsätzliches ging. Aber von Anfang an…

 

Wie alles begann: Googles Ankündigung

Im Oktober 2004 machte Google auf der Frankfurter Buchmesse eine Ankündigung, die für viel Auf-sehen und mediale Aufmerksamkeit sorgte. Das Unternehmen verkündete den Start eines neuen Massendigitalisierungsprojekts und der Plattform Google Books. Dafür hatte Google zunächst über sein Partner Program Partnerschaften mit verschiedenen Verlagen geschlossen, die Nutzenden über Google Books Einblicke in ihre Medien gewähren und sie über eine Verlinkung zu entsprechenden Kaufplattformen zum Erwerb anbieten konnten.

Eine zweite Quelle für Inhalte auf Google Books war das Library Project, aus dem sich im Bibliothekswesen besonders kontroverse Diskussionen ergaben: Google hatte bereits die ersten Verträge mit fünf großen Bibliotheken im US-amerikanischen und britischen Raum geschlossen, um große Mengen an Medien aus deren Beständen zu digitalisieren und über die Google-Plattform kostenfrei anzubieten. Die intransparenten Verträge, die der Geheimhaltung unterlagen, nährten die Diskussionen umso mehr. Dennoch taten sich in den folgenden Monaten (und später Jahren) immer mehr Bibliotheken, auch in Europa, mit Google zusammen.

 

Jean-Noël Jeanneney: Aux armes, citoyens!

In Europa tat sich insbesondere der damalige Präsident der französischen Nationalbibliothek, Jean-Noël Jeanneney, als scharfer Kritiker des Google-Books-Projekts hervor. In einem Zeitungsartikel in Le Monde und einem wenig später veröffentlichten Essay, beide mit dem Titel Quand Google défie l’Europe, positionierte er sich sehr deutlich gegen Kooperationen zwischen Bibliotheken und Google und befürwortete eine europäische digitale Bibliothek als Gegenentwurf zu Googles kommerziellem Angebot, die mit Europeana in den darauffolgenden Jahren auch umgesetzt wurde.

Jeanneney war kein Gegner der Digitalisierung per se: Die französische Nationalbibliothek hatte bereits mit Beginn der 90er Jahre erste Digitalisierungsprojekte mit urheberrechtsfreien Werken gestartet und die Datenbank Gallica für digitale Medien in ihrem Bestand aufgebaut. Den Ausbau von Gallica, das als „bibliothèque virtuelle de l'honnête homme“, also als digitale Bibliothek des anständigen Menschen beworben wurde, hatte auch Jeanneney in seinen Amtszeiten als Präsident der Nationalbibliothek weiter vorangetrieben. Seine Ablehnung richtete sich vielmehr gegen die seiner Meinung nach wahllose Massendigitalisierung einerseits und die Kooperation mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Google andererseits.

Logo der Datenbank Gallica

Unter seiner Leitung wurde bei der Digitalisierung der Fokus hauptsächlich auf die sorgfältige Auswahl der zu digitalisierenden Werke gelegt, um besondere Schmuckstücke oder Sammlungen zu verschiedenen Themen online auszustellen. Anstelle einer möglichst allumfassenden Sammlung sah Jeanneney es als Aufgabe der Bibliothek, den Nutzenden einen sprichwörtlichen Ariadnefaden an die Hand zu geben und die angebotenen digitalen Inhalte möglichst gut zu kontextualisieren.

Ein deutlich schwerwiegenderes Problem sah Jeanneney in der Tatsache, dass Google ein Privatunternehmen ist – und zu allem Übel auch noch ein US-amerikanisches.

Letzteres veranlasste ihn zu der Befürchtung, dass die Inhalte in Google Books, nicht zuletzt durch die Auswahl US-amerikanischer und britischer Partnerbibliotheken, hauptsächlich englischsprachig sein bzw. mit einer entsprechenden kulturellen Prägung einhergehen könnten. Für Werke aus anderen Sprach- und Kulturräumen sah Jeanneney die Gefahr, in den Beständen auf Google Books unterrepräsentiert zu sein oder durch den Google-Algorithmus benachteiligt zu werden. Er machte damit auf die kulturpolitische Dimension eines solchen Digitalisierungsprojekts aufmerksam, das, ähnlich einem Literaturkanon, in der Auswahl seiner Inhalte und deren Präsentation bestimmte Kulturen und Bevölkerungsgruppen benachteiligen und ausschließen kann, während die meistgelesenen bzw. meistgeklickten Inhalte bevorzugt werden. Die Diversität der europäischen Literatur- und Medienlandschaft sah Jeanneney in Google Books nicht abgebildet und pochte deshalb auf eine eigene europäische Lösung.

Große Skepsis zeigte Jeanneney darüber hinaus gegenüber Googles Gewinnorientierung und spekulierte öffentlich darüber, ob neben den Werken von Proust in Google Books wohl Werbung für Madeleines zu erwarten sei. Er äußerte generelle moralische Bedenken angesichts der Vorstellung, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen Gewinne damit machen könnte, die sorgfältig kuratierten und mit öffentlichen Geldern erworbenen und gepflegten Bestände online zu stellen, und stellte die Frage in den Raum, was mit all den Digitalisaten geschehen werde, falls Google insolvent sei oder sich aus anderen Gründen auflösen müsse. Insgesamt vertrat er die Ansicht, dass insbesondere Bestände des kulturellen Erbes, die einen großen und wichtigen Teil der Bestände der Nationalbibliothek ausmachen, in öffentliche Hand gehören.

 

Bruno Racine: Aufbruch in die schöne neue Welt

Im März 2007 wechselte die Leitung der Bibliothèque nationale de France und Bruno Racine löste Jean-Noël Jeanneney als Präsident ab. Er vertrat in vielen Punkten eine gegensätzliche Meinung zu seinem Vorgänger, dem er zwar einen schönen Schreibstil, aber auch einiges an Polemik und Anti-Amerikanismus attestierte.

Im Umgang mit Google und anderen kommerziellen Unternehmen war Racine pragmatischer eingestellt und forderte Bibliotheken auf, alle Optionen in Betracht zu ziehen – was macht es schon, ein wenig Madeleine-Werbung sehen zu müssen, wenn man dafür jederzeit und kostenfrei Proust genießen kann! Er schlug vor, große Massendigitalisierungsprojekte von Anbietern wie Google erledigen zu lassen, die diese deutlich schneller und günstiger umsetzen könnten, um sich mit bibliothekarischer Expertise den komplexeren Projekten wie der Digitalisierung von fragilen, wertvollen Beständen zu widmen. Auch stand Racine der Massendigitalisierung als solcher weniger skeptisch gegenüber: Statt nur einzelne Werke oder Bereiche auszuwählen und im Kontext eingebettet zu präsentieren, setzte er auf die Digitalisierung möglichst großer Mengen und schuf so z.B. auch Korpora als Grundlage für umfangreiche Forschungsprojekte in den Digital Humanities.

Um das Angebot in Gallica weiter zu vergrößern, arbeitete die Nationalbibliothek unter Racines Leitung außerdem an der Vernetzung mit anderen Bibliotheken und Einrichtungen des kulturellen Erbes, mit denen bei Digitalisierungsvorhaben kooperiert und Daten über OAI-Schnittstellen ausgetauscht wurden. Für einige Digitalisierungsprojekte wurden schließlich tatsächlich sogenannte Public-Private-Partnerships mit kommerziellen Anbietern geschlossen. Eine angebahnte Kooperation mit Google scheiterte jedoch nach Verhandlungsgesprächen, die bereits entsetzte Kommentare von Jeanneney und Zeitungsartikel mit Titeln wie „Google hat gewonnen“ hervorgerufen hatten.

 

Retour vers le futur

2016 übergab Bruno Racine die Leitung der Bibliothèque nationale an Laurence Engel. Mit ihr als Präsidentin wurde die Digitalisierungsstrategie, die Racine geprägt hatte, im Wesentlichen fortgeführt. Es wird weiterhin auf Massendigitalisierung und Kooperationen gesetzt, wobei insbesondere Bestände mit Alleinbesitz im Fokus stehen.

Um zum Schluss nochmal den Bogen zurück zum Anfangszitat zu spannen: Das letzte Papier zur Digitalisierungsstrategie, das von der Nationalbibliothek veröffentlicht wurde, ist interessanterweise als Karte gestaltet, die tatsächlich etwas an die Karte Galliens aus den bekannten Asterixbänden erinnert. Nun scheinen wir allerdings nicht mehr umzingelt und bedroht, sondern die gesamte Landschaft ist Teil eines Digitalisierungsökosystems geworden, das durch Datenströme vernetzt ist. So kann es also auch gehen.

lm

 

Quellen:

Jeanneney, Jean-Noël: Quand Google défie l’Europe: plaidoyer pour un sursaut. Paris, Mille et une nuits, 32010

Jeanneney, Jean-Noël; Le Grosnier, Hervé: „Google et la bibliothèque mondiale“. In: Vacarme. Nr. 32, 2005/3, S. 46-50

Racine, Bruno: Google et le nouveau monde. Paris, Perrin, 22011

 

Bildquellen:

Titelbild von Kévin Gachie auf Unsplash
Gallica-Logo von Paris 16 auf Wikimedia Commons - eigenes Werk, gemeinfrei

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Zwischen aktueller Literatur und wertvollen Rara – Kurs 21/24 zu Besuch in der Bibliothek des... #aubib Tue, 02 May 2023 14:30:00 +0200 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/02/zwischen-aktueller-literatur-und-wertvollen-rara-kurs-2124-zu-besuch-in-der-bibliothek-des-deutsc/ post-690 https://www.aubib.de/blog/article/2023/05/02/zwischen-aktueller-literatur-und-wertvollen-rara-kurs-2124-zu-besuch-in-der-bibliothek-des-deutsc/ Student/in Der Kurs 21/24 durfte in einer Führung mehr über die Geschichte, die Services und das Erwerbungsprofil der Bibliothek des Deutschen Museums erfahren und die beeindruckenden Rara bestaunen. Na,... Zwischen aktueller Literatur und wertvollen Rara – Kurs 21/24 zu Besuch in der Bibliothek des Deutschen Museums by Student/in 02-05-23

Categories: Führung | Bibliothek

Den Namen Oskar von Miller haben vermutlich viele schon einmal gehört, da unter anderem der Oskar-von-Miller-Ring nach ihm benannt ist. Aber wie sieht es aus mit der Bibliothek, die er gegründet hat? Es ist keine geringere als die des Deutschen Museums. (Okay, er ist nicht nur der Gründer der Bibliothek, sondern des ganzen Museums.)

Der Kurs 21/24 durfte in einer Führung mehr über die Geschichte, die Services und das Erwerbungsprofil der Bibliothek erfahren und die beeindruckenden Rara bestaunen.

Vor den beiden Lesesälen hängt prominent ein Portrait des Museumsgründers. Dort beschrieb uns der Bibliotheksleiter die Gründung des Museums und damit auch die Entstehung der Bibliothek.

1903 realisierte Oskar von Miller, ein einflussreicher Bauingenieur, seinen Wunsch nach einem naturwissenschaftlichen Museum. Durch seine zahlreichen Verbindungen organisierte er das nötige Geld. Der Museumsgründer war ein sehr guter „Fundraiser“, wie der Bibliotheksleiter Herr Dr. Hilz beschrieb.

Nach der geschichtlichen Einführung betraten wir die Lesesäle. Hinter der linken Tür findet man aktuelle wissenschaftliche Literatur. Rechts dagegen sind historische Bestände und Literatur zur Geschichte der Naturwissenschaften. Aufgrund dieses Schwerpunkts ist an der Bibliothek des deutschen Museums und an der Bayerischen Staatsbibliothek der Fachinformationsdienst Technik-, Umwelt- und Naturwissenschaftsgeschichte angesiedelt.

Zettelkatalog
Zettelkatalog

Im Lesesaal waren wir alle von den Zettelkatalogen beeindruckt, die man in Bibliotheken nur noch selten findet. Allerdings ist inzwischen der gesamte Bibliotheksbestand im Online-Katalog der Bibliothek verzeichnet. Zudem sind viele urheberrechtsfreie Werke digitalisiert und man kann sie auf der Plattform „Deutsches Museum Digital“ erkunden.

Magazin der Bibliothek
Magazin der Bibliothek

Die nächste Station unserer Führung war das Magazin. Es erstreckt sich über ein ganzes Stockwerk. Da die Baugenehmigung im frühen 20. Jahrhundert kein zusätzliches Stockwerk erlaubte, wurde kurzerhand ein Zwischengeschoss eingefügt.

Rara
Rara
Rara

Ein weiteres Highlight waren die besonders wertvollen Bücher, darunter auch Landkarten. Eine Karte wirkte zunächst wie eine schwarzweiße Darstellung der Erde, bei genauerem Hinsehen waren jedoch keine Kontinente erkennbar. Erst die Ausführungen von Herrn Dr. Hilz gaben Aufschluss: Es handelt sich um eine Mondkarte!

Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Hilz und Herrn Preiß für die spannende Führung!

sm

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Tweets für die Ewigkeit #aubib Thu, 16 Mar 2023 12:00:00 +0100 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/16/tweets-fuer-die-ewigkeit/ post-689 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/16/tweets-fuer-die-ewigkeit/ Student/in Die Deutsche Nationalbibliothek möchte alle deutschsprachigen Tweets archivieren und sucht Helfer:innen. Tweets für die Ewigkeit by Student/in 16-03-23

Categories: Bibliotheken | Deutschland

Twitterlogo

Seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk ging es bei dem Kurznachrichtendienst ziemlich turbulent zu: Massenentlassungen, Musks verquere Vorstellungen von Meinungsfreiheit und die Zunahme von Hate Speech auf der Plattform veranlassen immer mehr Nutzer:innen dazu, ihre Twitter-Konten zu löschen oder sich auf die Suche nach Alternativen wie Mastodon zu machen.

Die Deutsche Nationalbibliothek will deshalb nun mit dem Science Data Center for Literature ein ambitioniertes Projekt starten, um alle deutschsprachigen Tweets zu sichern und für zukünftige Forschungsprojekte nutzbar zu machen. Dabei steht sie unter einem gewissen Zeitdruck, nicht nur weil gelöschte Inhalte nicht mehr im Archiv aufzufinden sein werden, sondern auch weil Twitter bereits angekündigt hat, die Schnittstellen, die für eine wissenschaftliche Auswertung der Inhalte verwendet werden, zu schließen. Deshalb bittet die DNB jetzt um Mithilfe von Menschen, die Zugriff auf die Academic Access API haben und sich am Download des Twitter-Archivs beteiligen möchten. Jede Einzelperson mit einem solchen Zugang kann maximal 10 Millionen Tweets pro Monat herunterladen, so könnte die DNB also mit etwa 400 Unterstützer:innen alle 4 Milliarden Tweets sichern. Den Speicherplatz zur Archivierung stellt die DNB bereit. Im Anschluss könnte das deutschsprachige Twitter-Archiv der Forschung z.B. als Korpus für Data Mining zur Verfügung gestellt werden.

Dieses Projekt stellt ein Abweichen von der sonstigen Archivierungspolitik der Nationalbibliothek dar. Wenngleich seit 2006 auch ausgewählte Webseiten in bestimmten Abständen gespeichert werden, so gehörten Social-Media-Inhalte bisher eigentlich nicht zum Sammlungsbereich der Nationalbibliothek. Tweets sind jedoch in den letzten Jahren immer wieder als Datenpool für Auswertungen in Forschungsprojekten der Digital Humanities herangezogen worden und eignen sich durch ihre (bisher) freie Verfügbarkeit gut dafür. Dennoch stellt sich die Frage, was in Zukunft mit den nicht deutschsprachigen Inhalten passieren wird. Bei anderen Medienformen verfolgt die DNB die Richtlinie, Germanica zu sammeln, das heißt auch Werke in anderen Sprachen, die über Deutschland verfasst wurden. Angesichts der Fülle an Daten auf Twitter ist es sicher nicht möglich, relevante Twitterkanäle einzeln herauszufiltern und deren Inhalte zu archivieren. Stattdessen konzentriert man sich darauf, eine große Menge an Daten zu speichern, da vor allem die Masse für Datenauswertungen in den Digital Humanities interessant ist.

Ein ähnliches Projekt der Library of Congress beispielsweise hat sich für einen anderen Weg entschieden. Nachdem die LoC zunächst mit dem Speichern des gesamten Archivs begonnen hatte, entschied sie sich 2017 für einen Kurswechsel und verkündete, nur noch selektiv beispielsweise zu bestimmten Themen oder Ereignissen wie Wahlen zu sammeln - die Anzahl der täglich abgesetzten Tweets war einfach zu groß geworden.

lm

 

Quellen:

Deutsche Nationalbibliothek: "Deutschsprachiges Twitter archivieren - machen Sie mit!". Deutsche Nationalbibliothek, 08.03.2023. URL: https://www.dnb.de/DE/Professionell/Sammeln/Sammlung_Websites/twitterArchiv.html?nn=246608 (zuletzt abgerufen am 16.03.23)

Mayer, Iris: "Vier Milliarden Tweets fürs Archiv". Süddeutsche Zeitung, 08.03.2023. URL: https://www.sueddeutsche.de/panorama/twitter-archiv-deutsche-nationalbibliothek-1.5764923 (zuletzt abgerufen am 16.03.23)

Wamsley, Laurel: "Library of Congress Will No Longer Archive Everey Tweet". NPR, 26.12.2017. URL:

https://www.npr.org/sections/thetwo-way/2017/12/26/573609499/library-of-congress-will-no-longer-archive-every-tweet (zuletzt abgerufen am 16.03.23)

 

Foto von Brett Jordan auf Unsplash

 

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Ein Ausstellungstipp nicht nur für Bibliothekarinnen #aubib Wed, 08 Mar 2023 06:31:00 +0100 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/08/ein-ausstellungstipp-nicht-nur-fuer-bibliothekarinnen/ post-687 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/08/ein-ausstellungstipp-nicht-nur-fuer-bibliothekarinnen/ Student/in Monacensia Ausstellung zum Weltfrauentag Ein Ausstellungstipp nicht nur für Bibliothekarinnen by Student/in 08-03-23

Categories: Bibliotheken | International Ausstellung | Bibliothek

Monacensia Ausstellung Bild Nr. 1


„Frei leben! Die Frauen der Boheme. 1890–1920“ ist eine Ausstellung der Monacensia, die sich selbst als „literarisches Gedächtnis der Stadt München“ bezeichnet.

Beim lohnenswerten Besuch (möglich bis 31.07.2023) erhält man Einblicke in die Leben der Schriftstellerinnen Franziska zu Reventlow, Emmy Hennings und Margarete Beutler. „Wenn nur die verdammten Existenzsorgen nicht wären“, schrieb beispielsweise Reventlow 1908 in ihr Tagebuch. Doch allen Widerständen zum Trotz war nicht nur von diesen drei Frauen das Ziel jener Zeit, frei zu leben.

Details zur Ausstellungsseite finden sich aktuell auf der Veranstaltungsseite der Münchner Stadtbibliothek, zu der die Monacensia gehört.

Abgesehen vom interessanten Thema und der meiner Meinung nach sehr gut gemachten Ausstellungsgestaltung ist auch das Ambiente der Monacensia im Hildebrandhaus besonders. Der Kurs 2015/2018 war 2017 zu Besuch – bei Interesse einfach hier nachlesen.

Aber zurück zum Werbeblock zur Ausstellung: Der Eintritt ist frei, die VHS bietet sonntags Führungen an und ein Café gibt’s noch dazu ;)

 

Monacensia Ausstellung Bild Nr. 2
Monacensia Ausstellung Bild Nr. 4

  

Monacensia Ausstellung Bild Nr. 3

Text und Bilder: TF

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Lehrausstellung "Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts" geht in die Verlängerung #aubib Mon, 06 Mar 2023 14:00:00 +0100 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/06/lehrausstellung-impfgegner-in-bayern-zu-beginn-des-20-jahrhunderts-geht-in-die-verlaengerung/ post-688 https://www.aubib.de/blog/article/2023/03/06/lehrausstellung-impfgegner-in-bayern-zu-beginn-des-20-jahrhunderts-geht-in-die-verlaengerung/ Student/in Die Ausstellung "Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts" wurde aufgrund des großen Interesses vom Staatsarchiv München übernommen und kann dort noch bis Pfingsten besucht werden. Lehrausstellung "Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts" geht in die Verlängerung by Student/in 06-03-23

Categories: Projekt Ausstellung | Archiv

Ausstellungsplakat

Die kleine Ausstellung "Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts", über die wir vor einiger Zeit bereits berichtet haben, geht in die 2. Runde. Ursprünglich auf eine Laufzeit von drei Wochen ausgelegt, wurde die Lehrausstellung aufgrund des regen Besucherinteresses vom Staatsarchiv München (Schönfeldstraße 3, 80539 München) übernommen. Bis Pfingsten kann man sie dort nun zu folgenden Öffnungszeiten erneut besichtigen: Montag bis Donnerstag von 8.30 Uhr bis 16.00 Uhr, Freitag von 8.30 Uhr bis 13.00 Uhr. Das die Ausstellung begleitende Faltblatt steht auf den Seiten der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns auch zum Download bereit.

 

Quelle des Ausstellungsplakats: Karin Hagendorn, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns

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