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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Weltkarte




Stillleben

Avatar of Student/in Student/in | 12. Juli 2023 | Praktikum



 

Kurz nach sieben Uhr morgens. Durch die sanft im Wind wiegenden Weidenbäume und Sträucher fallen bereits erste Sonnenstrahlen schräg auf den gepflasterten Vorplatz, jetzt noch menschenleer. Im Hintergrund stimmen sich die Krähen lautstark auf ihre Beutezüge ein. Meine Schritte hallen durch die Arkaden, die Schlüssel klimpern unisono. Das ansässige Entenpärchen schläft noch im Schlagschatten der Objektkunst.

Aus dem ansonsten im Dunkeln liegenden oberen Stockwerk leuchten grün die Notausgangsschilder und hauchen den Umrissen des Lesesaals eine gespenstische Atmosphäre ein. Vor allem die weißen Stahlkonstruktionen rund um die Galerien stechen hervor, wirken auf eine gewisse Art widersprüchlich steril gegenüber den bunten Buchrücken. Mir schießen Wörter durch den Kopf, Urbexing, Lost Places, Serendipität. In ein paar Stunden werden die noch verwaisten Tische vollgestellt sein, von industrieller Mystik keine Spur mehr. Schon seltsam, wie sich Atmosphäre so schnell ändern kann.

Mit einem Klicken schwingt die Tür zum Trakt der Bibliotheksverwaltung von selbst auf, die Luft dahinter ist angenehm kühl und riecht nach Schule. Nachdem sich der Computer aus dem Dämmerschlaf erhoben hat, blinkt bereits die erste Mail des Tages auf. Das von Ihnen über Fernleihe angeforderte Medium ist eingetroffen und liegt für Sie im Abholbereich der Zentralbibliothek bereit. Ein prüfender Blick auf den Praktikumsplan, Schlüssel in die Hand und los, zwei Stockwerke tiefer.

Aus der Garagenebene des Treppenhauses dringt Gemurmel nach oben, Lachen. Jenseits der Glastür, die in den öffentlichen Benutzungsbereich führt, ist nichts zu hören. Die Neonröhren surren noch nicht. Es ist still, wirklich mal ganz still. Kein Papiergeraschel, Getippe, kratzende Stifte, kein unterdrücktes Husten, keine fiepsende Technik. Das Idealbild einer wissenschaftlichen Bibliothek – paradox, denn ohne die Akustik des Tagesgeschäfts fehlt etwas. Fühlt sich schon beinahe unbehaglich an. Weiter. Ebenso klösterlich besinnlich liegt der Säulen-Gang zum Abholbereich im Halbdunkeln vor mir. Dank des Schlüssels sind es nur noch ein paar Schritte.

Die Blätter der Bäume werfen Schatten durch die Fenster auf den Boden, auf den Regalen tanzen goldene Flecken. Einer davon schwebt auf dem Cover des bereitgelegten Fernleihbuchs wie ein Bühnenspot, einen Augenblick später beleuchtet er das Metall darunter. Neben der Theke schaltet sich der Infoscreen an und beendet lautlos die Stille. Das Licht an den Lesegeräten für die Verbuchung wechselt von gelb zu grün. Und zurück.

 

 

Das Ende des pinken Zettels, der unten aus dem Buch ragt, wippt mit. Eine schwarze 19 prangt großflächig darauf. Meine Mundwinkel ziehen sich unweigerlich nach oben, nicht nur, weil 19, also die Universitätsbibliothek München, ihre Medien meist mit Option auf zweifache Verlängerung herausgibt (ka-ching), sondern auch weil ich an die Kommilitonin denke, die dort gerade ihr Praktikum macht und in drei Monaten wieder neben mir im Kursraum sitzen wird. Vielleicht ist sie ja gerade in der aktiven Fernleihe eingeteilt und hatte das Buch sogar in der Hand?

Die Leuchte am Kästchen neben dem Durchgang zum Verwaltungsbereich blinkt frenetisch, als ich den passenden Schlüssel nach rechts drehe. Nun heißt es schnell hindurchgehen, bevor das System lautstark eine verdächtige Zeitüberschreitung meldet. Jenseits der nächsten Ecke ist schon das Gepolter eines Bücherwagens zu hören, kurz darauf folgt ein herzliches „Ja, guten Morgen!“. Das Wetter wird heute schön werden, eine Kollegin hat Blumen aus ihrem Garten mitgebracht und dem Geruch nach gibt es später wohl wieder etwas mit Zwiebeln in der Mensa.

Oben stehen nun einige der Bürotüren offen, Grußformeln und Nicken werden ausgetauscht, die Kaffeemaschine brummt, der Drucker ächzt. Wie von selbst fliegt das Passwort für die Desktopanmeldung über die Tastatur, die nostalgisch bei jedem Anschlag klickert. Dank der Taskleiste ist das Icon mit den übereinander schwebenden Händen schnell gefunden. F1, Barcode auf der CampusCard scannen, Barcode unter der schwarzen 19 auf dem pinken Zettel scannen, pling, Esc, minimieren.

Noch etwa eine Dreiviertelstunde, dann wird sich die Bibliothek endgültig von ihrer Nachtruhe erheben. Medien werden aus Rucksäcken über die Theken wandern, andere in Stoffbeuteln und Klarsicht-Taschen verstaut werden, Lampen an den Lernplätzen angestellt und Stühle zurechtgerückt werden. Kopiergeräte werden Karten nicht mehr hergeben wollen, Ausweise werden abgeholt, Sachauskünfte und sonstige lebenspraktische Informationen erteilt werden. Im Hintergrund wird derweil ausgehoben und eingestellt, neu aufgenommen, geordert, inventarisiert, katalogisiert und ausgesondert. Und ich irgendwo dazwischen.

vk

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7 Kommentar(e)

Bücherwagenschubserin |

21. Juli 2023

der wahre Grund für unser aller Entscheidung für diesen Beruf: endlich mal eine Bibliothek ganz für sich alleine haben ;-)


NR |

17. Juli 2023

Wunderschön geschrieben, die Stimmung ist super rübergekommen! Liebe Grüße von der Kommilitonin aus der 19 ^^


IR |

13. Juli 2023

Teil 2: Stillleben um 17:30 Uhr, nachdem die meisten Mitarbeiter*innen schon nach Hause gegangen sind ;)


WG |

13. Juli 2023

Ein stimmungsvolles, melancholisches Gemälde für Frühaufsteher*innen - jeden Morgen gleich, jeden Morgen anders, jeden Morgen neu ;-)


LH |

13. Juli 2023

:,)

Vermisse jetzt mein Praktikum wieder :(


SC |

12. Juli 2023

Eigentlich müsste dieser Text auch Fernleih-relevant sein! Sehr fein und geistreich beobachtet und wunderbar geschrieben. (:


RM |

12. Juli 2023

So ein wunderbar stimmungsvoller Text, durchzogen von leiser Melancholie, wie eine Gondelfahrt durch ein herbstliches Venedig in Niederbayern ...