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One man's trash is another man's treasure… Die Müllbibliothek von Ankara

Avatar of Student/in Student/in | 09. April 2020 | Bibliotheken | International, Lesestoff



Zu den Dingen, die man eigentlich nicht tut, gehört (meiner Meinung nach) auch das Wegwerfen von Büchern. Es gibt viele Alternativen dazu: Allen voran natürlich Verschenken, an Freunde, Verwandte, soziale Einrichtungen, vielleicht auch Bibliotheken. Grenzwertiger ist da schon das letzten Advent vorgestellte Verbasteln zu weihnachtlicher Dekoration. Leider wandern dennoch immer wieder Bücher als Folge “privater Deakzession” im Müll.

In der türkischen Hauptstadt Ankara ist dies auch den dortigen Fachkräften für Kreislauf- und Abfallwirtschaft aufgefallen, wie wir sie hierzulande nennen würden. Weggeworfene Bücher, Kultur und Wissen – sie fanden dies so schade, dass sie beschlossen daran etwas zu ändern. Die Kollegen fingen daraufhin an, die Bücher zu sammeln, die andere Leute weggeworfen hatten.

Den Grundstock bildeten rasch 200 Bücher, die man in der alten und leerstehenden Ziegelfabrik auf dem Gelände der Abfallwirtschaft unterbrachte. Ja, es gibt eine eigene Medienbearbeitung, bei der der Zustand der Bücher überprüft wird und über Zugänge entschieden wird; auch ein eigener Eigentumsstempel wird eingebracht. Anfangs wurde die neu entstandene Bibliothek nur von den dortigen 700 Arbeitern und ihren Familien genutzt, doch schon rasch erweiterte sich der Nutzerkreis, so dass heute auch Schulklassen zu Besuch kommen. Sogar ein eigener Leihverkehr wurde eingerichtet, denn es gab landesweite Anfragen. Aber vor allem lokale Schulen profitieren von ihr, zudem auch andere Bildungsprogramme, und sogar Gefängnisse werden bedient. Geöffnet hat die Bibliothek nun rund um die Uhr, und auch einige Vollzeitkräfte wurden eingestellt.

Mittlerweile ist die Müll-Bibliothek ein offizielles Projekt geworden, mit Unterstützung des örtlichen Bürgermeisters des Stadtteils Çancaya. Sie umfasste 2019 mehr als 6000 Bücher, der Deutschlandfunk spricht sogar von 20.000 Büchern – Belletristik und Sachbücher, doch auch eine große Kinderabteilung mit Comics. Neben den Müllfunden kommen immer mehr Spenden hinzu. Dennoch – selbst die Regale und die Bilder an den Wänden wurden von den Müllmännern irgendwo gerettet und hier einer neuen Bestimmung zugeführt.

Die Bücher stellen heute nur einen Teil des Angebots dar. Aus der Einrichtung wurde immer mehr ein kommunaler Treffpunkt, fast schon ein Bürgertreff mit einer Cafeteria, einem Barbier und einer eigenen Band. 2018 wurde sogar ein eigener Bücherbus geplant – gebaut aus einem alten Müllwagen.

Was den Müllmännern, mit denen alles begann, mittlerweile am meisten Gedanken macht: Dass sie schon viel früher damit hätten anfangen sollen Bücher zu retten.

 

(Zum Vergleich: In der Türkei gibt es (ohne Schulbüchereien) 1690 Bibliotheken (WBs und ÖBs). Deutschland hat bei einer grob vergleichbaren Bevölkerungszahl mit 7478 (laut DBS Gesamtauswertung 2018) mehr als 4mal so viele Bibliotheken).

Video des türkische Staatsfernsehens über die Bibliothek (Youtube)

Dokumentation von ARTE (Youtube)

(mb)

 

Quellen u.a.

https://www.goodnet.org/articles/turkish-garbage-collectors-open-library-from-books-rescued-trash

https://www.spiegel.de/karriere/ankara-muellmaenner-gruenden-bibliothek-mit-weggeworfenen-buechern-a-1189211.html

https://www.deutschlandfunk.de/ankara-die-bibliothek-der-muellmaenner.1773.de.html?dram:article_id=436044

 

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3 Kommentar(e)

Student |

21. April 2020

Absolut. Aber in solchen Fällen sind bookcrossing-Stellen eine wunderbare Idee. Vielleicht gibt's ja jemanden, dem das schlecht geschriebene oder langweilige Buch sogar gefällt =)


Abgebrühte |

16. April 2020

Ich muss zugeben, ich bin inzwischen nicht mehr so streng, was das Wegwerfen von Büchern angeht (wobei Verschenken klar besser ist). Ein Buch ist meiner Meinung nach nichts wertvolles per se, sondern wird durchs Gelesen werden wertvoll. Und wenn es nicht mehr gelesen wird (weil wissenschaftlich veraltet, schlecht geschrieben oder schlicht langweilig), hat es auch seinen Wert verloren. Da kann man dann auch mal Platz für neue (wahre) Schätze schaffen :)

Aber: sehr interessanter Blogbeitrag!


Lesende |

14. April 2020

Eine wirklich sehr schöne Idee. Sehr nachhaltig.

 

Und ja, ich kann nur zustimmen: Bücher wirft man nicht weg. Auch das Verbasteln tut weh, geht aber gerade noch so durch.