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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Adventskalender (6): Norbert Nostalgicus

Avatar of Student/in Student/in | 06. Dezember 2022 | Adventskalender



Norbert Nostalgicus in seinem Büro

Sollte es einmal eine Zeit gegeben haben, in der Norbert Nostalgicus noch nicht an dieser Bibliothek gearbeitet hat? Wenn ja, kann sich daran niemand erinnern.

Norbert Nostalgicus, wahlweise im Hemd (Sommer) oder im Hemd mit irgendetwas Gestricktem darüber (im Winter), gehört genauso in das Büro der Erwerbungsabteilung (ach nee, das heißt ja neuerdings Medienbearbeitung, auch wenn Norbert Nostalgicus sich das nie merken kann) wie seine immergrüne Pflanze auf das Akten-Regal und seine Filterkaffee-Maschine in die Teeküche. Er ist ein friedlicher Zeitgenosse, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Leichte Fassungslosigkeit und mitunter das nervöse Zurechtrücken seiner Brille zeigt er allerdings, wenn sich Veränderungen in seinem Workflow ergeben. Denn das bedeutet, dass Norbert Nostalgicus plötzlich damit konfrontiert ist, etwas zu tun, das ihm noch nicht seit 41 Jahren in Fleisch und Blut übergegangen ist. Deswegen rutscht ihm bei der Formalerschließung manchmal noch ein kleines „1. Aufl.“ oder „Verl.“ durch, auch wenn RDA, das neue Regelwerk, solche Abkürzungen nicht mehr vorsieht. Die Deskriptionszeichen kann er im Schlaf und manchmal scheint er gedankenverloren vor sich hin zu murmeln: „Sachtitel Spatium Doppelpunkt Spatium Zusatz zum Sachtitel Spatium Doppelpunkt Spatium weiterer Zusatz Spatium Schrägstrich…“

Damals, da wusste Norbert Nostalgicus ganz genau, wie eine bestimmte Titelaufnahme auszusehen hatte – alles klipp und klar geregelt. Und wenn zwei sich mal nicht einig waren, dann lag der eine halt falsch. Und heute? Cataloguer’s Judgement. Oder wie Norbert Nostalgicus es nennt: „Kraut und Rüben“. Aber glücklicherweise ist das nicht mehr sein Problem. Der Ruhestand winkt. Heute in einem Jahr schon wird er unbegrenzt Zeit haben für seine Briefmarkensammlung, historische Dokumentationen und seinen ganz privaten Zettelkatalog: die bestsortierte Kochrezeptsammlung aller Zeiten.

Ach ja, zu Zeiten von Zettelkatalogen und gedruckten Auskunftsmitteln, als der Leihverkehr noch farbenfroh in gelb und rot unterteilt war, da wusste Norbert Nostalgicus immerhin noch, woran er war. Heute? In der Erwerbung, pardon: Medienbearbeitung, und in der Benutzungsabteilung: Alles EDV. „Alles EDV“, das ist ein feststehender Ausdruck in Norbert Nostalgicus’ Vokabular, der vorzugsweise ratlos geseufzt oder kopfschüttelnd vor sich hingebrummelt wird.

Norbert Nostalgicus hat damals ja noch die Titel von Bibliographien auswendig gelernt. Ja, so richtige gedruckte Auskunftsmittel. Kannte er alle. Der „Vademecum deutscher Lehr- und Forschungsstätten“ zum Beispiel war ihm immer ein treuer Ratgeber. Die sechste, neu bearbeitete Auflage steht noch in seinem Regal. 1973 war die tadellos auf dem neuesten Stand, da gibt es nichts dran zu rütteln. Norbert Nostalgicus, der geheime Universalgelehrte der Bibliothek, weiß natürlich auch, dass „Vademecum“ lateinisch ist und für „Komm mit mir“ steht, weil ein Vademecum ganz allgemein eben ein Buch ist, dass man einfach mit sich führen… – Es ist Norbert Nostalgicus unerklärlich, warum die Kollegin in der Kaffeepause so gedankenversunken in ihrer Tasse rührt, fast so als würde sie ihm gar nicht zuhören. Meistens ist die (obligatorische) Kaffeepause mit Norbert Nostalgicus allerdings sehr unterhaltsam, weil er nicht nur gerne Rezepte aus seinem privaten Zettelkatalog teilt, sondern auch die verrücktesten Geschichten über die Bibliothek und ihr (menschliches) Inventar auf Lager hat.

Zwischenfrage, Herr Nostalgicus: Warum bekommen Neuerwerbungen eigentlich immernoch einen Besitzstempel, obwohl der Name der Bibliothek schon seit Jahren auch auf sämtlichen aufgeklebten Etiketten steht? Diese Frage hat Norbert Nostalgicus sich so noch nicht gestellt. Seine Antwort ist ein Schulterzucken, begleitet von einem „Das ist historisch so gewachsen“. (Es könnte aber auch sein, dass Norbert Nostalgicus einfach sehr gerne stempelt?)

Historisch gewachsen ist auch das ausgefeilte Ablagesystem aus beschrifteten Ordnern und Trennblättern in Norbert Nostalgicus’ Büro, in dem er alles in Sekundenschnelle wiederfindet. Dort wird all das fein säuberlich ablegt, was irgendwie ausgedruckt werden kann. Manchmal wird ihm vorgeschlagen, einen Teil der Ordner auszurangieren – alles Wesentliche würde sich im PC doch sowieso und noch dazu schneller wieder finden. Aber Norbert Nostalgicus kümmert das wenig – sein System hat sich bewährt und bis zur Pensionierung wird sich an seinem Regal nichts mehr ändern. Kein Ordner, keine Pflanze. Punkt Spatium Punkt.

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5 Kommentar(e)

Bibliothekarin |

12. Dezember 2022

Herrlich! Großes Lob an Autor oder Autorin.


TF |

07. Dezember 2022

Herrlich (Spatium Gedankenstrich Spatium) auch die Illustration :)


Norbert Gillmann |

07. Dezember 2022

... und den gibt es wirklich. Wunderschön beobachtet. Fast ist es sogar sehr zutreffend.


Student |

06. Dezember 2022

Super beschrieben! Einen Norbert gibt es sicher in jeder Bib.


mb |

06. Dezember 2022

Sehr treffend!