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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Die Edelsteine (5) - Ein Ortsbesuch

Avatar of Student/in Student/in | 07. Dezember 2020 | Adventskalender, Lesestoff



Kapitel 5: Ein Ortsbesuch

Direktor Feichtenbeiner schien etwas überrascht über Kies‘ energisches Vorhaben, Couleuvres Wohnung aufzusuchen. Unlogisch war es jedoch nicht. Couleuvre hatte sich auch am Wochenende nicht gemeldet, da war es im Prinzip eine richtige Idee, mal vor Ort nachzusehen, ob er denn vielleicht zuhause wäre.

„Fahren können wir schon, Frau Kies. Aber wer hält die Stellung in der Bibliothek? Wir machen in zehn Minuten auf, und Sie sind im Dienstplan alleine bis Mittag.“

„Ich fürchte, dann muss die Bibliothek heute etwas später öffnen, Herr Direktor. Fahren wir.“

Kies öffnete die schwere Holztür des Haupteingangs und trat halb hinaus, drehte sich und blickte ihn an. Feichtenbeiner rührte sich nicht vom Fleck. Die Bibliothek wegen so einem Vorfall kurzzeitig schließen? Was würden die Benutzer sagen? Dann sah er durch die halboffene Tür in etwas Entfernung die „Alte“, die gerade in ihrem silbernen Peugeot heranfuhr, schon mit den Hufen nach den Lokalzeitungen scharrend. Feichtenbeiners Miene verzog sich. „Ja, fahren wir.“

Als sie davonfuhren, konnte er im Rückspiegel noch kurz das wilde Gestikulieren der „Alten“ wahrnehmen, die gerade den improvisierten Zettel an der Eingangstür gelesen hatte.

Kies fuhr, ohne zu zögern, die Hauptstraße hinunter, einmal quer durch die Altstadt, über den Fluss, und auf der anderen Seite bog sie links ab Richtung Dorfen. An einer Ampel rechts, einer kurvigen Straße folgend, gelangte sie zielsicher in ein Neubaugebiet. Wenig später hielt sie vor einer Reihenhaussiedlung. Dessauerstraße 6. Hier war es. Ein Polizeiwagen wartete bereits auf sie.

Zwei Männer standen neben dem Polizeiwagen.

„Frau Kies?“

„Die bin ich. Herr Feist?“

Feichtenbeiner starrte verblüfft.

„Richtig, Kommissar Eberhard Feist, um ganz korrekt zu sein“, erwiderte der dickliche, große Mann mit Glatze im braunen, knielangen Mantel. Man mochte ihn auf ungefähr 50 schätzen. „Das ist mein Kollege Schweinsdorfer, der Polizist, mit dem Sie Kontakt hatten“, fügte er hinzu, während er mit der flachen Hand auf seinen bedingt jüngeren, spindeldürren Gehilfen mit Nickelbrille zeigte. „Dick und Doof“, fuhr es Kies durch den Kopf, aber sie ließ sich nichts anmerken.

„Normalerweise kümmere ich mich nicht um solche Fälle. Aber in dem Fall mache ich eine Ausnahme. Außerdem… sind wir personell etwas dünn besetzt zur Zeit.“

„Was geht hier vor sich?“, stieß es aus Feichtenbeiner hervor.

„Ist das Ihr Mann, Frau Kies?“, fragte Kommissar Feist.

„Erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle. Dr. Klaus Feichtenbeiner, Direktor der Regionalbibliothek. Frau Kies und Herr Couleuvre sind meine Mitarbeiter. Wenn Sie mich jetzt aufklären könnten darüber, was hier eigentlich….“

„Nun, Herr Feistenbeiner, Ihre Mitarbeiterin setzte uns davon in Kenntnis, dass sich Herr Couleuvre möglicherweise selbst etwas zugefügt habe. Da die Angelegenheit von gewisser Dringlichkeit scheint, bieten wir in diesem Fall selbstverständlich unsere Hilfe an.“

Feichtenbeiner warf Kies einen vorwurfsvollen Blick zu, während sie das spärlich beleuchtete Treppenhaus betraten. Die Wohnung Couleuvres befand sich im 1. Stock. Sie hatten etwas Mühe, sie sofort eindeutig zu identifizieren, denn sein Name stand auf keinem Klingelschild. Nach dem Ausschlussverfahren blieb nur eine Wohnungstür übrig, die mit dem leeren Klingelschild. Niemand öffnete. Weder Klopfen noch Klingeln bewirkte etwas.

„Können Sie die Tür aufbrechen oder anderweitig öffnen?“, fragte Kies.

Polizist Schweinsdorfer zögerte.

„Kannst machen, Kollege,“ sagte Kommissar Feist zu ihm. „Wir gehen schließlich von einer drohenden Gefahr für Leib und Leben aus. Wenn jemand fragt, geht das auf meine Kappe.“

Ein paar Sekunden später standen sie in der Wohnung Couleuvres. Mit Putzen hatte es der Altbestandsbibliothekar anscheinend nicht so. Ein kleiner Staubfilm lag auf den Möbeln, insgesamt ein unordentlicher Eindruck, hier stand ein dreckiger Teller, dort lag eine Hose herum, überall lagen Blätter und aufgeschlagene Bücher und ein paar Zeitschriften herum. Kies bemerkte ein aufgeschlagenes Buch, darin kryptische Zeichen, die irgendwie wie Hieroglyphen aussahen. Ein angebrochener Karton Milch stand daneben. Dazwischen lag eine getragene Wollsocke mit Rentiermotiv. Feichtenbeiner versank vor Scham im Boden und wollte bald wieder hinaus.

„Herr Couleuvre?“ rief er laut und deutlich. Keine Antwort. Eine kurze Suche in Bad und Küche ergab keine Spur von ihm. „Hier ist er jedenfalls nicht“, sagte Polizist Schweinsdorfer.

Während er Kies und Feichtenbeiner wieder nach draußen begleitete, meinte Kommissar Feist: „Aus unserer Sicht wäre die Angelegenheit damit nicht weiter zu verfolgen.“

Kies pustete: „Sie wollen nichts tun? Herr Couleuvre schwebt vielleicht irgendwo in Gefahr und…“

„Nun mal langsam, Fräulein“, unterbrach sie Feist. „Es gibt kein Indiz für ein Verbrechen. Ebensowenig sind wir Zeuge eines Suizids oder Versuchs desselben. Ihr Kollege ist kein Minderjähriger, also werden wir auch keine Vermisstenanzeige schalten. Solange in Bezug auf das Verschwinden Ihres Kollegen keine Straftat vorliegt oder zumindest naheliegt, können wir nicht ermitteln. Wir sind ja schließlich Polizei und keine Privatdetektive.“ Mit den Worten ließ er die beiden einfach stehen. Kies hätte heulen können vor Wut.

Fortsetzung folgt

(ag)

(Bildnachweis: Hans Braxmeier, via Pixabay)

 

 

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3 Kommentar(e)

John Doe |

11. Dezember 2020

Sonst sehr lesenswert:)


John Doe |

11. Dezember 2020

Warum kann die FAMI nicht die Bibliothek öffnen? Traut ihr dies uns nicht zu?


ehem. Student |

11. Dezember 2020

Super Fortsetzungsgeschichte!