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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Bücherverbrennungen 1933 (I) - "Das Buch ist eine Waffe"

Avatar of Student/in Student/in | 10. Mai 2023 | Bibliotheken | Deutschland, Lesestoff



Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen während der NS-Zeit möchten wir diesen Ereignissen eine kleine Blogreihe widmen, die aus drei Teilen bestehen soll. In diesem ersten Beitrag werden die Bücherverbrennungen 1933 in den historischen Kontext eingeordnet und die Rolle, die Bibliothekar:innen dabei spielten, beleuchtet. In einem zweiten Beitrag nächste Woche werden die weiteren Entwicklungen während der NS-Zeit, die Wege der verbrannten Werke und ihrer Autor:innen nachgezeichnet. Im dritten Teil schließlich wird ein Projekt vorgestellt, das die Orte der Bücherverbrennungen und die lokal unterschiedlichen Abläufe dokumentiert und sichtbar macht.

Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz

Bereits vor den Bücherverbrennungen im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“, die maßgeblich von der Deutschen Studentenschaft (DSt) koordiniert und durchgeführt wurde, kam es zu Plünderungen und Verbrennungsaktionen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 20. Januar 1933, bei der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, wurden diverse Notverordnungen erlassen, durch die das demokratische Leben stark eingeschränkt wurde. Die Presse und der Literaturbetrieb, die bereits in den Jahren vor der Machtergreifung durch Zensurbestrebungen und Beschlagnahmungen „gefährlicher“ (politisch kritischer) Schriften eingeschränkt worden waren, sollten weitgehend gleichgeschaltet werden. Während die NSDAP-Parteipresse zuvor nur einen kleinen Teil ausgemacht hatte, fanden nun massive Eingriffe statt, die die Macht des NS-Regimes ausbauen sollten; es kam zur Übernahme von Verlagen durch NS-Funktionäre, Verhaftungen oder Vertreibungen kritischer Stimmen. Besonders betroffen waren kommunistisch und sozialistisch geprägte Publikationen. Hierbei fanden bereits im März 1933 erste Verbrennungen statt, beispielsweise bei der Stürmung und Plünderung der Büroräume der Dresdner Volkszeitung durch SA-Männer. Ebenfalls in diese Monate fällt die Stürmung vieler Gewerkschaftshäuser, die geplündert und deren Bibliotheken beschlagnahmt oder verbrannt wurden.

Der Ursprung der Idee zur „Aktion wider den undeutschen Geist“, im Zuge dessen viele studentisch organisierte Bücherverbrennungen stattfanden, ist nicht hundertprozentig geklärt. Teilweise wurde eine zentrale Organisation durch Goebbels‘ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vermutet, mittlerweile geht man jedoch davon aus, dass der Impuls für die Aktion aus der Deutschen Studentenschaft kam, die mit einer aufsehenerregenden Aktion ihre Stellung im NS-Staat sichern wollte. Die DSt hatte einige Jahre zuvor ihren Status als offizielle Vertretung der deutschen Studierenden verloren und zudem mit inneren Streitigkeiten und konkurrierenden Kräften zu kämpfen. Sie befand sich in Konkurrenz zum Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), wobei sich beide Organisationen ideologisch sehr ähnlich waren.

Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ war für April und Mai geplant, mit den Bücherverbrennungen, die am 10. Mai in möglichst vielen Städten stattfinden sollten, als Fanal. Für die Kommunikation mit den einzelnen Studentenschaften und der Presse wurde in Anlehnung an Goebbels‘ Propagandaministerium ein „Hauptamt für Presse und Propaganda“ gegründet, das Anfang April die offizielle Verkündung der geplanten Aktion und die Verbreitung der „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ übernahm. Die 12 Thesen, die an vielen deutschen Hochschulen ausgehängt wurden, zeigen deutlich, wie Juden und Jüdinnen als „undeutsch“, als andersartig und böse dargestellt wurden. Die Forderungen nach der „Reinheit“ der deutschen Sprache und der Hochschulen wurden schon bald verknüpft mit Boykott- und Vertreibungsaktionen, die sich gegen jüdische Professor:innen und Studierende richteten. Auch die folgenden Plünderungen und Verbrennungen zeichnen sich in den 12 Thesen bereits ab: „Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.“

Flugblatt „12 Thesen wider den undeutschen Geist“
Flugblatt „12 Thesen wider den undeutschen Geist“

In den Tagen vor den Bücherverbrennungen organisierten die Kampfausschüsse Sammelaktionen, bei denen als schädlich oder „undeutsch“ eingestufte Literatur aus Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt wurde, was oft in Plünderungen und Zerstörung ausartete.  Die Bibliotheken waren auch dazu aufgerufen, selbst ihre Bestände auf zu vernichtende Werke hin zu untersuchen und diese freiwillig an Sammelstellen in den Häusern der Studentenschaften oder burschenschaftlichen Verbindungshäusern abzuliefern. Als Richtlinie dafür, was auszusondern war, galten sogenannte Schwarze Listen, die von einer Kommission unter Leitung des Berliner Bibliothekars Wolfgang Herrmann zusammengestellt wurden. Darauf fanden sich unter anderem Werke von jüdischen, sozialistischen, kommunistischen, pazifistischen oder in irgendeiner Weise „volkszersetzenden“ Personen. Die Listen sowie der genaue Wortlaut der "Feuersprüche", die bei den Verbrennungen rezitiert werden sollten, wurden in den Wochen vorher an die Einzelstudentenschaften versandt, wobei auch darauf hingewiesen wurde, dass auch über die Listen hinaus nach eigener Einschätzung Literatur beschlagnahmt werden solle. Lediglich die Verbrennung folgender Autoren, die explizit in den Feuersprüchen genannt wurden, sollte in allen Städten vorgenommen werden: Karl Marx, Karl Kautsky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster, Siegmund Freund, Emil Ludwig, Werner Hegemann, Theodor Wolff, Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.

Einen besonderen Schwerpunkt legte Herrmann auch auf die Sexualmoral, wodurch das Berliner Institut für Sexualwissenschaft, geleitet von Magnus Hirschfeld, in den Fokus der Stoßtrupps geriet. Hirschfeld, der als Pionier der Sexualforschung galt und sich für die Rechte von homosexuellen und trans Menschen einsetzte, befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil. Seine Institutsbibliothek sowie eine Büste Hirschfelds wurden in Berlin verbrannt.

Verladung von zu verbrennenden Werken in Berlin
Verladung von zu verbrennenden Werken in Berlin
Berliner Studenten und SA-Männer mit beschlagnahmten Werken
Berliner Studenten und SA-Männer mit beschlagnahmten Werken

Wolfgang Herrmann befürwortete ein besonders hartes Vorgehen gegen Buchhandlungen und Leihbüchereien, die Bücher gegen ein Entgelt verliehen und stärker am Geschmack ihrer Kundschaft orientiert waren als die öffentlichen Büchereien, welche sich häufig eher in einer erzieherischen Rolle sahen. In den kommerziellen Leihbüchereien vermutete Herrmann daher besonders viel „Schmutz- und Schundliteratur“, weshalb er die Studentenschaft dazu anhielt, auch die hinteren Regale und Lagerräume auf verstecktes Material zu untersuchen: „Heute haben die Leihbüchereien natürlich durchweg nationale Literatur vorn. Vor wenigen Wochen waren sie fast durchweg noch literarische Bordelle."

Die am besten dokumentierte Bücherverbrennung fand in Berlin statt, wo am Abend des 10. Mai rund 25.000 Bücher von etwa 100 Autor:innen verbrannt wurden. Da die Presse zuvor informiert und geladen worden war, war der Platz von Scheinwerfern hell erleuchtet und das gesamte Ereignis wurde im Radio übertragen. Nachdem die Bücher unter großem Applaus und Gesang in die Flammen geworfen worden waren, hielt Joseph Goebbels eine Rede, in der er gegen „Schmutz“ und „Untermenschentum“ hetzte und den „neuen Geist“ beschwor, der aus der Asche der verbrannten Bücher emporsteigen sollte. Die anwesende Blaskapelle unterstrich seine Rede mit dem Lied „Volk ans Gewehr“.

Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
Mitglied der SA beim Verbrennen der Bücher in Berlin
Mitglied der SA beim Verbrennen der Bücher in Berlin

In München begann der Abend des 10. Mai mit einem Festakt an der Münchener Universität, bei der unter anderem die Rektoren der Universität und der Technischen Hochschule sprachen. Auch der bayerische Kultusminister Hans Schemm hielt eine Rede, in der er die jüdische Bevölkerung in Deutschland als „einheimische Ausländer“ bezeichnete, die einen schlimmeren Krieg gegen die „deutsche Seele“ führten als jeder andere Krieg zuvor. Nach dem Festakt begab sich ein Fackelzug über die Ludwigsstraße und die Brienner Straße (damals Adolf-Hitler-Straße) vorbei am Braunen Haus zum Königsplatz, wo bis zu 70.000 Menschen der Bücherverbrennung beiwohnten.

Scheiterhaufen auf dem Münchner Königsplatz
Scheiterhaufen auf dem Münchner Königsplatz

In den öffentlichen Bibliotheken, denen in der NS-Zeit eine Rolle als Vermittlerinnen der NS-Ideologie an die Deutschen zukommen sollte, stieß die Aktion insgesamt auf wenig Widerstand. Der Verband Deutscher Volksbibliothekare (VDV) brachte seine Loyalität zum Ausdruck und erklärte, „die völlige Durchdringung des deutschen Volkes mit nationalsozialistischem Denken, Fühlen und Wollen“ anzustreben. Teilweise führten Volksbüchereien bereits vor den offiziellen Beschlagnahmungen Aussonderungsaktionen durch. Einzelne Bibliotheksleitungen beteiligten sich mit Reden anlässlich der Verbrennungen. Wenige Fälle von Weigerungen und Einbehalten der beanstandeten Bücher sind z.B. aus Würzburg bekannt. Offener Widerstand oder nicht ausreichende Kooperation wurde jedoch oft bestraft und die Widerständler durch linientreue Beamte ersetzt.

Auch der Verein Deutscher Bibliothekare (VDB), der die Beschäftigten in wissenschaftlichen Bibliotheken vertrat, äußerte sich positiv über die „Säuberungsaktionen“. Wissenschaftliche Bibliotheken waren weniger stark unter Druck, ihre Bestände auszusortieren, und waren selten von Plünderungen betroffen. Vereinzelte Aufforderungen zur Herausgabe beanstandeter Werke zwecks Verbrennung am 10. Mai wurden beispielsweise von der Bayerischen Staatsbibliothek abgelehnt. Andernorts wurden die Vorgaben unterlaufen und lediglich Dubletten oder veraltete Literatur abgeliefert. Dennoch machten die wissenschaftlichen Bibliotheken längst nicht all ihre Bestände für die Benutzung zugänglich. Als schädlich angesehene Literatur wurde den Nutzenden nicht mehr präsentiert, sondern meist sekretiert und nicht mehr offiziell verzeichnet, wodurch die Werke und ihre Autor:innen zumindest vorübergehend ebenfalls unsichtbar gemacht wurde.

lm


Zitat im Titel in Gänze:  „Das Buch ist eine Waffe, Waffen gehören in die Hände von Kämpfern, Kämpfer für Deutschland zu sein, heißt, Nationalsozialist zu sein.“ Wilhelm Baur, Vorsteher des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel und Leiter des NSDAP-Parteiverlages Eher, 1940, zitiert nach Graf S. 15.

 

Quellen:

Deutsche Digitale Bibliothek: Virtuelle Ausstellung "Presse in der Zeit des Nationalsozialismus". URL: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/ns-presse/, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Graf, Angela: "April/Mai 1933 - Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ und die Bücherverbrennungen". In: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: Verbrannt, geraubt, gerettet! Bücherverbrennungen in Deutschland. Bonn, 2003, S. 9-22.

Kühnert, Jürgen: "Bücherverbrennungen (1933)". In: Historisches Lexikon Bayerns. URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCcherverbrennungen_(1933), zuletzt aufgerufen am 10.05.2023.

NS-Dokumentationszentrum München: "Die Bücherverbrennungen in Deutschland und München". URL: https://www.nsdoku.de/historischer-ort/koenigsplatz/buecherverbrennungen-1933, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Pohlmann, Tobias: "Erfüllungsgehilfen? Die Rolle der Bibliotheken im Rahmen der Bücherverbrennung 1933". In: Perspektive Bibliothek 1.2, 2012, S. 193-221.

Treß, Werner: Wider den undeutschen Geist. Bücherverbrennung 1933. Berlin, Parthas, 2003.

Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2015.

 

Bildquellen:

Bild 1: United States Holocaust Memorial Museum, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa26358, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 2: Flugblatt "12 Thesen wider den deutschen Geist", Original: Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I, via Wikimedia Commons.

Bild 3: United States Holocaust Memorial Museum, Fotograf: Abraham Pisarek, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa4499, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023..

Bild 4: United States Holocaust Memorial Museum, URL: https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa4503, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 5: Bundesarchiv, Bild 102-14597, Fotograf: Georg Pahl, via Wikimedia Commons.

Bild 6: United States Holocaust Memorial Museum, URL: collections.ushmm.org/search/catalog/pa26364, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.

Bild 7: Völkischer Beobachter, Süddeutsche Ausgabe. München, 12.5.1933.

 

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