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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Adventskalender (2): Ein schier außergewöhnlicher Vertreter seines Standes

Avatar of Student/in Student/in | 02. Dezember 2021 | Adventskalender



aubib-Adventskalender 2021 (2)

In unserem zweiten Adventskalendertürchen soll es um einen etwas außergewöhnlichen Vertreter seines Standes gehen: Ajax Penumbra aus Robin Sloans Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (original: Mr. Penumbra’s 24-hour Bookstore). Jetzt werden Sie sagen: klingt eher nach einem Buchhändler denn nach einem Bibliothekar. Und ich kann Ihnen antworten: ich sagte ja, außergewöhnlich. Mr. Penumbra ist weder so wirklich das eine, noch das andere. Lassen Sie mich nachfolgend erklären, warum.

Ajax Penumbra wurde am 10. Dezember, vermutlich Ende der 1930er / Anfang der 1940er Jahre, in England geboren. Als Sohn eines Dichters und einer Lehrerin war ihm die Liebe zur Literatur praktisch in die Wiege gelegt. Benannt wurde er nach Ajax dem Großen, einem der Haupthelden im Trojanischen Krieg, und anstelle eines Geburtstagsgeschenks überreichten ihm seine Eltern Bücher am Tag des Geburtstags derer Autoren – um nur ein paar Besonderheiten zu nennen. Als Mutter Maria die Stelle einer Schulleiterin in Galesburg, Illinois, angeboten wird, zieht die Familie nach Amerika. Vater Pablo gründet im Lauf seines Lebens zwei literarische Zeitschiften: Migraciones und Interrupciones. Nun wohnhaft in Illinois, schreibt sich Ajax am Galvanic College ein und belegt schon bald den Studiengang Okkulte Literatur. Ajax wird als recht großer, kluger und neugieriger, aber auch zurückhaltender Zeitgenosse beschrieben, der eine Schwäche für klassische Literatur (Shakespeare, Dante, Homer – hier spürt man den Einfluss des Vaters) hat.

Nach dem Grundstudium der Okkulten Literatur beginnt Ajax die Ausbildung im Stab für Neuerwerbungen der Bibliothek des Galvanic College. Im Rahmen dieser erlernt er auch Sprachen wie Griechisch, Latein, Aramäisch, Sanskrit und Protophönizisch. Was zunächst nach einer eher ungewöhnlichen Sprachwahl klingt, ergibt in Anbetracht der Bestände der College-Bibliothek durchaus Sinn. Neben der klassischen, wissenschaftlichen Literatur enthält sie vor allem „einzigartige, unübersetzbare und/oder unerklärbare Bücher“1. „Bücher, die aus Silber und Knochen gemacht sind. Bücher mit blutgetränkten Seiten, im übertragenen wie wörtlichen Sinne. Bücher, die läuten wie Glocken, wenn du sie aus dem Regal nimmst, Bücher, die im Dunkeln leuchten“2. Sie sehen: Ajax ist Bibliothekar. Anfangs. Im Anschluss an seine Ausbildung erhält Ajax eine Stelle als Junior-Assistent für Neuerwerbungen. Seine Aufgabe besteht darin, sehr seltene, sehr alte Bücher überall auf der Welt für den Bestand der Bibliothek des Galvanic College ausfindig zu machen und zu erwerben.

Gleich sein erster Auftrag erweist sich als in diesem Job leider nicht unübliche harte Nuss. Ajax soll das Techne Tycheon (griech. Die Kunst oder das Handwerk der Wahrsagerei), dessen Spur sich 1657 verliert, aufspüren. Auf seiner Reise landet er 1969 unter anderem in San Francisco, in Mr. Al-Asmaris 24-hour Bookstore (kommt Ihnen der Titel bekannt vor?). Doch Mr. Mohammed Al-Asmaris Buchhandlung ist keine gewöhnliche Buchhandlung, nein. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes außergewöhnlich. Zwar bedienen Mr. Al-Asmari und sein Mitarbeiter Mr. Corvina mit – zugegebenermaßen etwas älterer – belletristischer Literatur auch die Laufkundschaft San Franciscos, doch viel bedeutender ist, was sich im hinteren Teil des Ladens befindet. Späht man hinter den schweren Verkaufstisch, erblickt man gefühlt unendlich in die Höhe strebende Regale mit sehr alten, seltenen Folianten, deren Inhalte nur wenigen Auserwählten bekannt – und verständlich, da verschlüsselt – sind. Dieser wertvolle Bestand ist nur den Mitgliedern der Buchhandlung zugänglich, welche sie keineswegs kaufen. Sie werden ahnen, was jetzt folgt: die Mitglieder von Mr. Al-Asmaris Buchhandlung leihen die Titel aus, auf der Suche sowohl nach deren Entschlüsselung als auch nach dem Code, mit dem die Memoiren des Aldus Pius Manutius verschlüsselt wurden.

Wie in so vielen literarischen Werken gehören ebenjene Mitglieder in Robin Sloans Werk auch einer Geheimgesellschaft an, die glaubt, dass mit der Entschlüsselung des Codes das Ende der Welt einhergeht. Mit Aldus Pius Manutius webt Sloan sogar eine reale historische Figur in die Geschichte ein. Manutius lebte ca. Mitte des 15. Jahrhunderts in Venedig, war Buchdrucker und gestaltete seine eigenen Drucktypen und sein eigenes Buchformat. Er setzte die moderne Technik seiner Zeit zur Erhaltung des Alten (vor allem griechische Manuskripte) ein, ist also eine Verkörperung des in Sloans Werk dargestellten Konflikts zwischen Digital Natives und Digital Immigrants, Bewahrung des Alten und Nutzung des Neuen. Doch hierum soll es in diesem Text nicht gehen.

Was entscheidend ist: Mr. Al-Asmaris Buchhandlung ist sowohl eine Buchhandlung im klassischen Sinne als auch eine Bibliothek. Eben einfach außergewöhnlich. Von dieser außergewöhnlichen Besonderheit und den Geheimnissen, die vielleicht noch im Verborgenen schlummern, angezogen, entschließt sich Ajax Penumbra trotz eines Jobangebots als Senior-Assistent an der Bibliothek des Galvanic College, nach San Francisco zurückzukehren, um Mitglied in Mr. Al-Asmaris Buchhandlung zu werden. Wie der Titel des Hauptwerks bereits verrät, ist Ajax im Laufe seines Lebens nicht nur Mitglied, sondern am Ende auch Inhaber der Buchhandlung und somit zwar irgendwie nach wie vor Bibliothekar und doch auch wieder nicht. Außergewöhnlich.

(ls)


1 s. Robin Sloan: Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra, e-Pub, Karl Blessing Verlag 2014, Seite 14

2 s. Robin Sloan: Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra, e-Pub, Karl Blessing Verlag 2014, Seite 14

Bildnachweis: Adventskalender: aubib unter Verwendung von Annie Spratt auf Pixabay und Freepik via Flaticon ; Sara Facio, via Wikimedia Commons

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