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Fake News – Teil 2: wie sie funktionieren und was sie bewirken

Avatar of Student/in Student/in | 23. Februar 2021 | Gedankensprünge



Fake News – Teil 2: wie sie funktionieren und was sie bewirken

Zuletzt haben wir in diesem Blog uns gefragt, woher Fake News kommen und welche Rollen unsere Social-Media-Blasen dabei spielen.

Wir wollen in diesem Beitrag noch beleuchten, wie Fake News eigentlich funktionieren und was sie mit uns als Gesellschaft machen.

Fake News nimmt Wahrheiten und verdreht sie

Was den Umgang mit Fake News problematisch und auch unheimlich schwierig macht: ein Teil der Information stimmt oft, ein anderer Teil wird jedoch frei erfunden oder der ursprüngliche (wahre) Teil wird übertrieben, in einen anderen Kontext gesetzt, falsch oder selektiv interpretiert, so dass dabei bewusst eine neue Information suggeriert wird, die als Ganzes unwahr ist.

Ein kleines, aktuelles Beispiel:

Auf Twitter wurde vor Kurzem ein privater Blogpost einer Schweizer Seite namens legitim.ch verbreitet. Die Überschrift: „Johns Hopkins University bestätigt: Impfverweigerer können mittels PCR-Test geimpft werden!“

Der Blogartikel führt anschließend aus, es gäbe eine neue Technologie, die von besagter US-Universität entwickelt worden sei, und „heimliche Impfungen mittels PCR-Test“ ermöglichten. Dazu werden kleinste Metallteile, sogenannte „Theragripper“ in den Magen eingeschleust, die die zu verabreichende Substanz tragen. Verlinkt wird als Quelle dabei tatsächlich auf eine Webseite der John-Hopkins-Universität.

(Anschließend folgt eine Aneinanderreihung von Absätzen über diese von der Regierung geplanten „Menschenversuche“, angebliche genetische Veränderungen, die der Impfstoff hervorrufen soll, Telegram und schließlich geht es noch um Nena...).

Schaut mit in die Originalquelle der John-Hopkins-Universität und liest sich alles dort durch, sieht man: ein Teil der Information stimmt: nämlich, dass dort tatsächlich eine Technologie namens „Theragripper“ entwickelt wurde, die mittels Metallteilen Arzneimittel besser in den Magen-Darm-Trakt einbringen soll.

Das war‘s dann aber schon bezüglich der Übereinstimmungen. Nirgendwo ist die Rede davon, dass die Technologie eingesetzt werden soll, um Impfstoff zu verabreichen. Es geht um Arzneimittel für den Magen-Darm-Trakt. Auch ist nirgendwo die Rede von Impfverweigerern oder PCR-Tests. Somit ist auch die Schlagzeile „Johns Hopkins University bestätigt: Impfverweigerer können mittels PCR-Test geimpft werden!“ vollkommen erlogen.

Auf legitim.ch wird der Artikel mit einem Foto eines Wattestäbchens bebildert, dazu die Bildüberschrift „Gemäss der Johns Hopkins University werden die Theragrippers tatsächlich mit einem Wattestäbchen verabreicht.“

Im Originalartikel findet sich in der Tat zwar dasselbe Wattestäbchen-Bild, die Bildunterschrift dort lautet aber „A theragripper is about the size of a speck of dust“. Es handelt sich also um einen illustrativen Größenvergleich. Davon, dass Theragripper mit einem Wattestäbchen in den Körper gelangen sollen, ist auch hier keine Rede. Soweit das Beispiel, von denen es unzählige gibt.

Im günstigsten Fall kann sich die neue Falschinformation weit verbreiten, weil ihr die Aura der Glaubwürdigkeit anhaftet: „Seht her! Hier sind meine wissenschaftlichen, seriösen Quellen! (aber bitte nicht nachprüfen)“…

Interessant ist übrigens, dass dieser Mechanismus auch ein Stilmittel der Satire und der Parodie ist: man nimmt einen Teil der Wahrheit und dichtet etwas hinzu, oder übertreibt ihn, die Übertreibung oder Darstellung ist dabei aber in der Regel so extrem und unglaubwürdig, dass die Parodie als solches erkannt wird. Besonders belustigend ist es natürlich, wenn die Parodie so gut gemacht ist, dass sie von einzelnen Persönlichkeiten nicht erkannt wird, wie im Beispiel der Politikerin Beatrix von Storch, die auf einen Artikel des Satiremagazins Der Postillon reinfiel, der behauptete, die Fußball-Nationalmannschaften würden zugunsten einer EU-Mannschaft abgeschafft.

Fake News lassen keine Gegenstimmen zu

Besonders wenn man sich als Leser in einem Thema nicht sehr gut auskennt, scheint die Argumentation von Fake News auf den ersten Blick oft logisch. Kennt man sich gut aus, erkennt man sachliche Widersprüche. Aber auch als Nicht-Experte kann man Fake News entlarven. Fake News lassen nämlich in der Regel keine Gegenstimmen zu, es wird nicht abgewogen zwischen mehreren Positionen. Kommen in einem Bericht nur Expertenmeinungen vor, die in eine Richtung gehen, kann man sich fragen, ob nicht etwa andere Argumente oder Meinungen ausgeblendet wurden.

Klimawandel-Leugner etwa wählen manchmal einige Fakten und Studien aus, die ihre Ansicht stützen, ignorieren dabei aber alle anderen Studien, die ihrer Theorie widersprechen und die die überwältigende Mehrheit aller Studien zum Klimawandel ausmacht. - Ein Effekt, den man Rosinenpicken nennt (bzw. auf Englisch pickt man Kirschen: „cherrypicking“). Relevante Informationen werden bewusst weggelassen oder ignoriert.

Beim Leser führt das wiederum zu selektiver Wahrnehmung: ihm werden viele kleine Informationen angeboten, die an und für sich faktisch nicht unwahr sind, aber da die Gegenperspektive fehlt, ergibt das ein einseitiges Weltbild, das wiederum nicht der Realität entspricht. Oder anders ausgedrückt: Willkommen zurück in der Blase!

Dabei haben wir schon gesehen, dass das Verbleiben in der Blase unheimlich bequem ist. Wir mögen unser Weltbild und ein Umfeld, das das gleiche Weltbild hat wie wir! Denken und ständiges Hinterfragen strengt unglaublich an, und man will ja auch nicht unbedingt die „Clique“ aufgeben, mit der man sich mittels seines Weltbildes angefreundet hat. Je enger diese miteinhergehende soziale Bindung an einzelne Personen ist, desto anfälliger sind wir auch für Fake News. Das macht es noch schwerer, aus der Blase wieder rauszukommen.

Dieser Kreislauf führt dazu, dass wir instinktiv das glauben, was wir glauben wollen. Was wiederum zum nächsten Problem führt:

Emotion ersetzt Information, Meinung ersetzt Fakten

Fake News bauen darauf, Emotionen hervorzurufen. Sie wollen den Leser in ihr Weltbild holen. Ist das mal geschafft, verstärkt sich diese Mischung aus Meinung und Emotionen und gewinnt manchmal die Oberhand über Informationen und Fakten. Das bedeutet, dass sich irgendwann die Auffassung durchsetzt, dass es gar nicht so relevant ist, ob eine Information wahr ist – sie muss nur in mein Weltbild passen. Wenn sie für mich bequem ist, glaube ich sie einfach. Wenn man so will, ist das eine Abkehr von der Welt von Wissen und Erkenntnis, in der wir uns seit zwei-drei Jahrhunderten befinden, und die verlangt, dass Informationen nachprüfbar sein müssen. Wenn jeder aber seine eigene Emotion als Maßstab nimmt, wird Wissen und Erkenntnis individuell.

Besonders herausfordernd wird das für eine Person, wenn sie dann mit Information konfrontiert wird, die eben nicht ins Weltbild passt. Solange man sie ausblenden und ignorieren kann, ist alles gut. Aber wenn man unfreiwillig damit konfrontiert wird, wird es hart. Dann verteidigt man „seine Informationen“ mit Sätzen wie „Ich glaube nicht an Corona“ oder bezeichnet sie, wie die Trump-Beraterin Kellyane Conway 2017, als „alternative Fakten“.

Oder man geht gleich zum rigorosen Gegenangriff über und diffamiert die Veröffentlicher unliebsamer Informationen als „Lügenpresse“ (oder „Fake News Media“ in Trumps Worten), beleidigt sie als „Systemnutte“, oder spricht von „Meinungsdiktatur“. Dieses panikhafte „Nicht-Wahr-haben-wollen“ führt schließendlich zu Hass, etwa wenn Fernsehteams auf Pegida-Demos attackiert werden.

Dabei darf man natürlich nicht verschweigen, dass die klassischen Medien durchaus auch einen Beitrag zu diesem Trend geleistet haben, indem sie die Lebenswelten von der Gesellschaft Abgehängter lange ignoriert haben (man könnte auch sagen, die Journalisten leben auch in einer Art Hauptstadtblase). Viele Menschen fühlen oder fühlten sich nicht mehr repräsentiert, woraus sich ein höheres Misstrauen ergibt, das nicht viel braucht, um sich zu Hass zu entwickeln.

Wohin führt das Ganze?

Das haben wir schon leicht angedeutet: wenn es keine gemeinsame Wahrheit mehr gibt und keine gemeinsamen Prinzipien, wie Wahrheit nachgewiesen wird, dann agiert jeder nach „seiner“ Wahrheit. Im einfachsten Fall führt das zu individuellen Gefahren: ich lehne z.B. eine lebensrettende Behandlung im Krankenhaus ab, weil ich in meiner Facebookblase was anderes gelesen habe.

Im weitergeführten Fall führt es dazu, dass kein gemeinsames Agieren einer Gruppe mehr möglich ist: es gibt keinen gemeinsamen Nenner. Handlungen werden gegenseitig blockiert, weil niemand sich vom anderen durch Logik und gemeinsame Kriterien überzeugen lässt. Ja, selbst die Position des Anderen wird nicht als legitim anerkannt. Insgesamt schwächt das also jede Art von Gemeinschaft, auch politische Formen, die auf Gemeinschaftlichkeit beruhen, wie Demokratie.

Die Schwächung kann dann wiederum in einer Spirale von Lagerdenken/Polarisierung münden, aus der im Extremfall gegenseitiger Hass und Gewalt entsteht.

Auch den etwas weniger wahrscheinlichen Fall gibt es: nämlich, wenn eine große Gruppe gemeinsam auf Fake News hereinfällt bzw. sich darauf einlässt. Dann ist zwar gemeinsames Agieren möglich, aber auf Basis falscher Information. Das führt zu Fehleinschätzungen und zu ungewünschten Ergebnissen. Im Extremfall zu Gefahren für die große Gemeinschaft als Ganzes. Nicht zuletzt ist so eine Gruppe dann anfälliger für Manipulation.

 

(Bildnachweis: Max Muselmann, via Unsplash)

(ag)

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