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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Die Edelsteine (17) - Die Nacht

Avatar of Student/in Student/in | 23. Dezember 2020 | Adventskalender, Lesestoff



Kapitel 17: Die Nacht

Der darauffolgende Montag war der 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten. Kies fühlte sich total ausgelaugt. Der Weihnachtsstress, das aufwühlende Treffen mit Josef, die daraus entstehende Wut auf Feichtenbeiner und die vertrottelten Polizisten, all das belastete sie. Sie war bis sechs an der Informationstheke. Als die letzten Besucher das Haus verlassen hatten, inklusive der „Alten“, die nicht von ihren Tageszeitungen lassen konnte, sperrte sie die Tür von innen ab, und ging in ihr Büro.

Draußen war es schon längst dunkel, sie machte auch nur ihre Schreibtischlampe an, lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Tisch. Lange grübelte sie nochmals über den Fall des verschwundenen Kollegen nach, bedauerte Josefs Schicksal. Schließlich machte sie sich einen Tee und begann im Internet zu surfen.

Sie hatte gar keine Lust mehr auf irgendwas. Ein paar bibliothekarische Fachzeitschriften, die sie regelmäßig las, sah sie flüchtig-gelangweilt durch. Schließlich landete sie durch Zufall auf einem Repositorium der Humboldt-Universität zu Berlin. Was man halt so macht als Bibliothekarin an einem Montag Abend. Eigentlich war es ganz amüsant, sich die Abschlussarbeiten der Studierenden dort anzuschauen. Mit was für Themen sich die jungen Leute so beschäftigten. Aus allen Fachgebieten gab es was, manche klangen auch ziemlich fad, erstaunlich viel gab es auf Englisch zu lesen. Schließlich stolperte sie sogar auf eine Abschlussarbeit zu Linear B, dieser altertümlichen Schrift, in der die zweite Entführernachricht verfasst war. Da wurde ihr Gesicht wieder ernst.

65 Seiten umfasste die Arbeit, Kies las sie komplett durch, Zeile für Zeile. Eine klug geschriebene Arbeit, das musste sie zugeben, auch wenn sie nicht viel davon verstand. Als sie fertig war, war es schon halb zwölf. Du meine Güte, so spät, dachte sie. Aber an und für sich ist es auch egal. Sie sank wieder in ihren Bürostuhl. Stand auf und ging ans Fenster, schaute hinaus.

Schließlich fiel ihr Blick auf die liegengebliebene Post. Oder sagen wir besser den Stapel liegengebliebener, nicht persönlich adressierter Post. Da lag so einiges der letzten Monate, was man eigentlich schon entsorgen hätte können. Werbeprospekte, Verlagsprogramme. In einem Umschlag befand sich das ausgeliehene Buch einer Nutzerin. Sie hatte es per Post zurückgeschickt, und es war immer noch nicht bearbeitet worden. Vermutlich hatte man ihr stattdessen schon einen Mahnbescheid geschickt.

Auch ein Auktionskatalog des renommiertes Hauses Baye war im Poststapel. Sie begann ihn durchzublättern. Teils waren schöne Abbildungen über den Beschreibungen, es war interessant, was so alles unter den Hammer kam. Nicht nur alte Bücher, auch Schmuck, Kunstwerke, handgeschriebene Briefe Lessings, alles Mögliche. Es war auch eine Abbildung zweier Edelsteine dabei. Kies hielt an. Diese Edelsteine kamen ihr irgendwie bekannt vor. Wo hatte sie die schonmal gesehen?

Zwar war die Abbildung nicht besonders groß, aber sie glaubte, auch an Hand der Beschreibung, es gäbe eine gewisse Ähnlichkeit… obwohl nein, das war Fantasterei. Sie irrte sich sicherlich. Doch tippten ihre Finger eilig auf dem Tastatur die URL der Digitalen Bibliothek ein, und in wenigen Sekunden hatte sie vor sich das Digitalisat des Codex Bernensis. Sie zoomte an den Prachteinband heran, verglich das Digitalisat mit der Abbildung im Auktionskatalog.

Schließlich nahm sie den Katalog und schaute aufs Datum. Die Auktion wäre morgen, acht Uhr. Am Stammsitz des Auktionshauses Baye, in der nächstgrößeren Stadt, etwa eine Autostunde entfernt. Doch ohne vorherige Anmeldung wurde man nicht zugelassen. Kies schnaufte tief durch. Sie stand urplötzlich vor einem entscheidenden Moment. Es war schon ein Uhr nachts.

Plötzlich hörte sie ein lautes Klirren und erschrak furchtbar. War ein Vogel gegen das Fenster geflogen? Sie öffnete das Fenster. Draußen war alles dunkel. Aber sie glaubte, am Ende des Hofs einen Mann weglaufen zu sehen. Sie schloss das Fenster, lief eilig hinunter, sperrte die Tür auf, lief raus auf den leeren Hof, direkt unter ihr Fenster. Dort lag im Schnee ein Schlüsselbund.

Sie nahm ihn, lief zurück ins Gebäude, sperrte sich ein, lief hoch. Anschließend drang sie mit dem Schlüssel in Couleuvres Büro ein, fing hastig an zu suchen. Warum hatte hier noch niemand die Idee, nach Indizien zu suchen, verdammt noch mal, fiel es ihr plötzlich ein. Dämlicher Kommissar! In der untersten Schublade neben dem Schreibtisch fand sie, wonach sie suchte.

Den Rest der Nacht verbrachte sie, sich alle Einzelheiten des Digitalisats vom Codex Bernensis gut einzuprägen. Sie zoomte heran, verglich mit Bildern der Edelsteine auf der Webseite des Auktionshauses. Um 6 Uhr morgens verließ sie das Gebäude. Auf dem Parkplatz begegnete ihr einer der Magaziner, noch im Halbschlaf, sprachlos und erschrocken. Kies sah ihn nicht einmal, sie eilte zu ihrem Auto und fuhr los.

Fortsetzung folgt


Unser Weihnachtskrimi endet morgen. Und da im Adventskalender das letzte Türchen ja immer das größte ist, gibt es zum Abschluss eine Doppelfolge. Wird Bibliothekarin Kies das Rätsel lösen? Gibt es am Schluss Tränen oder Plätzchen? Oder beides? Wir sind gespannt ;-)

(ag)

(Bildnachweis: profivideos, via Pixabay)

 

 

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