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Die Edelsteine (14) - November

Avatar of Student/in Student/in | 18. Dezember 2020 | Adventskalender, Lesestoff



Kapitel 14: November

Der 6. November war wider Erwarten ein vergleichsweise wärmerer Tag, sofern man für neun Grad das Wort Wärme in den Mund nehmen darf. Zumindest hatte sich die Sonne noch einmal von einer schönen Seite gezeigt, was den bunten Laubteppich in den Parks und Gärten besonders gut zur Geltung gereichte.

In der Bibliothek hatte man die letzten Vorbereitungen für die „Übergabe“ abgeschlossen. Man hatte die drei Bände eilig zunächst in die Staatsbibliothek gebracht, um sie dort ebenso schnell sicherheitshalber zu digitalisieren. Das Ganze unter strenger Geheimhaltung, nur die Direktion war dort eingeweiht. Zurück in B. wurden sie sorgfältig in eine wasserdichte und staubabweisende Kiste verpackt, damit sie im Wald bei schlechten Wetterbedingungen keine Schäden nähmen.

Um fünf fuhren Kies und Feichtenbeiner los. Kurz vor dem Dorf bogen sie rechts auf einen Feldweg ein. Der holprige Weg ramponierte Feichtenbeiners Wagen ein wenig, und so waren sie froh, als endlich der vereinbarte Treffpunkt am Übergang eines kleinen Baches auftauchte. Feist erwartete sie schon.

„Es ist alles schon vorbereitet. Wir haben neun Polizisten in Zivil an unterschiedlichen Stellen im Wald und am Rand aufgestellt. Seit mittags um zwei sitzen sie dort schon. Vorher haben wir natürlich alles minutiös durchkämmt. An den Zufahrtsstraßen warten ebenfalls mehrere Wägen in Zivil. In einer dreiviertel Stunde wird es dunkel. Wir sollten uns beeilen.“

Sie stapften hinauf ins Waldstück. Hier hinein drang nur noch wenig Tageslicht, so dass es im Wald schon etwas dunkler war, und man acht geben musste, wohin man trat.

Kies und Feichtenbeiner hielten die Kiste jeder an einem Ende. Während Kies noch gut in Kondition war, merkte man Feichtenbeiner das Alter an. Er keuchte und musste immer wieder absetzen. Feist hatte die Koordinaten samt GPS-Gerät bereit. Zielsicher steuerte er auf den Punkt zu, blieb jedoch plötzlich stehen und sprach leise:

„Schauen Sie, da vorne, links von der auffälligen Tanne, ist eine kleine Lichtung mit einem entwurzelten Baum. Das ist der angegebene Ort.“

Feist blieb allein zurück, während Kies und Feichtenbeiner die Kiste zur Lichtung schleppten. Als sie die Kiste am Baum absetzten, schaute sich Kies neugierig um, versuchte, die versteckten Beamten in Zivil zu finden. Sie waren offensichtlich gut getarnt oder weiter weg. Jedenfalls sah sie nichts und niemanden. Feichtenbeiners Miene war sichtlich beunruhigt. Auf so ein zweifelhaftes Abenteuer hätte er im letzten Jahr vor der Rente gerne verzichtet.

Beide stapften zurück zu Feist, der sie in der Dämmerung zurück zum Auto begleitete.

„Ich schlage vor, Sie fahren zurück. Es wird ja schließlich schon dunkel. Wir rufen Sie an, sobald es etwas gibt bzw. wir die Verfolgung aufgenommen haben.“

„Das kommt nicht in Frage“, erwiderte Feichtenbeiner. „Meine Kollegin und ich, wir bleiben hier und warten.“

„Nun gut, dann seien Sie bitte so lieb und schalten das Licht an Ihrem Auto aus. Und auf keinen Fall aussteigen oder sich auffällig verhalten.“ Damit machte er kehrt und verschwand wieder Richtung Wald.

Kies und Feichtenbeiner setzten sich ins Auto, schlossen sich ein und schwiegen sich an. Bald setzte die Dunkelheit ein. Kies hatte belegte Brote und Mineralwasser dabei. Feichtenbeiner nahm dankend wie fragend an:

„Sie haben Abendbrot vorbereitet? Woher wussten Sie, dass…“

Kies zuckte mit den Achseln und lächelte. „Ach, ich kenn doch Ihren Charakter, Herr Direktor. Aber ich selbst wäre auch nicht einfach so gefahren, sondern wie Sie geblieben.“

Wie lange sie dort saßen, vermochte keiner zu sagen. Die Zeit schien still zu stehen, die beiden im Wagen schwiegen sich an. Nichts rührte sich, alles um sie herum war nun vollkommen dunkel. Stunde um Stunde verging ohne ein Zeichen aus dem Wald. Kies und Feichtenbeiner froren ziemlich. Niemand hatte an Decken gedacht, den Motor anmachen wollte aber auch niemand, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Also vergruben sie ihre Hände tief in die Taschen, schlugen ihre Kragen hoch und schoben ihren Hals so tief wie möglich hinein, ohne dass es viel half.

Die Nacht war klar und eisig.

Um halb sechs klopfte Kommissar Feist ans Beifahrerfenster.

„Und?“

„Nichts bislang. Die Morgendämmerung wird bald einsetzen. Wir werden einen Teil der Männer abziehen, ein Teil bleibt hier und observiert weiter. Fahren Sie ruhig wieder zurück und schlafen Sie sich ein paar Stunden aus. Wir rufen Sie an, sobald es etwas Neues gibt.“

Die beiden waren zu übermüdet und verfroren, um groß widersprechen zu wollen. Feichtenbeiner warf den Motor an. Er setzte Kies vor ihrer Haustür ab, bevor er selbst nach Hause fuhr, um sich schlafen zu legen.

Am folgenden Abend bekam sie noch einen Anruf von Feichtenbeiner, der ihr das erklärte, was eh zu erwarten war: Der oder die Entführer waren nicht gekommen, ihr gefordertes „Lösegeld“ abzuholen. Vermutlich hatten sie selbst in irgendeinem Versteck gesessen und die Polizisten gesehen. Oder sie hielten es von vornherein plötzlich zu riskant und änderten die Strategie. Die Übergabe war jedenfalls gescheitert.

Fortsetzung folgt

(ag)

(Bildnachweis: Harmony Lawrence, via Pixabay)

 

 

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