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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Die Edelsteine (9) - Der Minotaurus im Labyrinth

Avatar of Student/in Student/in | 11. Dezember 2020 | Adventskalender, Lesestoff



Kapitel 9: Der Minotaurus im Labyrinth

Sie nahmen den ohnmächtigen Feichtenbeiner auf ihre Arme und trugen ihn in sein Büro. Josef holte den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und sperrte wieder ab. Bereits auf der Treppe kam Feichtenbeiner wieder zu sich, doch erst nach einem großen Glas Wasser erlangte er wieder seinen Verstand.

„Das darf nicht wahr sein. Der Codex Bernensis. Der Codex…“

Und er murmelte es ein paar Minuten immer wieder vor sich hin. Kies war sich mit Feichtenbeiner einig über das, was jetzt getan werden musste. So stand denn auch zwanzig Minuten später ein ebenso schlecht gelaunter wie erstaunter Kommissar Feist bei ihnen im Zimmer und ließ sich erzählen, was sich zugetragen hatte.

Fast widerwillig nahm er sich der Sache an, versuchte aber gleichzeitig Vertrauen zu wecken in die Polizei. „Ich werde sofort alles in die Wege leiten. Die Ermittlungen werden noch heute aufgenommen. Wir werden dem oder den Tätern schon auf die Schliche kommen. Haben Sie keine Angst.“

Kies wusste, dass davon nicht viel zu halten war. Das Desinteresse des Kommissars war so offensichtlich gewesen, dass die warmen Worte es nicht kaschieren konnten. Betrübt fuhr sie an diesem Tag nach Hause, aß eine Kleinigkeit und ließ sich sofort ins Bett fallen. Schlafen konnte sie nicht, aber die wohlige Wärme der Bettdecke bot irgendwie Trost über die Welt, die zusammengebrochen war in ihrer kleinen Bibliothek.

All diese Entwicklungen waren noch immer unfassbar. Ausgerechnet der Codex. Dieses Werk war nicht nur einmalig, acht Jahrhunderte alt und materiell wertvoll, auch kulturhistorisch bedeutsam und – was besonders schwer wog – ein wesentlicher Bestandteil der Identität der Bibliothek. Auf zahlreichen Flyern und Präsentationen war er zu sehen, digitalisiert ein Highlight in der digitalen Bibliothek, für Ausstellungen im eigenen Hause oft gebraucht, doch wegen seines Wertes selten verliehen.

Wer hatte Interesse daran, ein solches Werk zu stehlen? Und wer hatte ein Interesse daran, einen Bibliothekar zu entführen, fragte sie sich. Es musste wohl so sein, dass jemand Couleuvre als Mittel zum Zweck missbraucht hatte. Die Entführung musste in der Bibliothek stattgefunden haben. Jemand hatte ihn überrascht, bedroht und ihn gezwungen, den Tresorraum aufzusperren und den kostbaren Codex samt weiterer Werke zu übergeben. Und die Entführer nahmen nicht nur die Werke, sondern auch den Bibliothekar mit?

Oder war es vielmehr so, dass man Couleuvre zuerst observiert hatte, ihn außerhalb der Bibliothek überfiel, und, als man dann in Gewalt von Schlüssel samt einer von ihm erzwungenen Wegbeschreibung war, drang man – vielleicht nachts – ins Magazin und in den Tresorraum ein.

Diese zweite Theorie war fast plausibler. Allerdings, wenn die Entführer den Schlüssel hatten, warum hatten sie nicht gleich im großen Stil eine Vielzahl von Handschriften und Inkunabeln außer Haus geschafft?

Kies richtete sich im Bett auf und schaute aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel. Es kam ihr so vor, als hätte sie etwas übersehen. Ähnlich wie die Nacht draußen herrschte, war es Nacht in diesem mysteriösen Fall geworden, und Kies stocherte in diesem dunklen Labyrinth herum und fragte sich, ob ihr nicht etwas entgangen war. War da kein Detail, das ihr weiterhelfen konnte?

Fortsetzung folgt

(ag)

(Bildnachweis: StockSnap, via Pixabay)

 

 

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