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Hier berichten wir von den großen und kleinen Erlebnissen unserer Ausbildungsreise – von Exkursionen in alte und neue Bibliotheken, von Studienfahrten und Praktika in fernen und nicht ganz so fernen Städten, von Vorträgen, Konferenzen und natürlich dem Studienleben in München.

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Weltkarte




Tu es, Petrus! oder der Vergil mit der iPhone-Hülle

Avatar of Student/in Student/in | 18. Dezember 2019 | Studienleben



ein vorweihnachtlicher Nachmittag in der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek

[unter Verwendung von Verlinkungen nutzbar gemacht für den geneigten Leser, auch ihm ein paar Einblicke in buchgemalte Krippen zu ermöglichen]

 

Zur Mitte der Adventszeit fand sich der Kurs 18/21 im Schmeller-Raum der BSB ein und erlebte dort in gewohnter Art einige Stunden schnell springender Universalgelehrsamkeit mit dem stellvertretenden Leiter des Referats, Dr. Wolfgang-Valentin Ikas. Aus der Menge der an der Staatsbibliothek verwahrten abendländischen Handschriften (gut 40.000) hatte er eine repräsentative Auswahl sowohl für einen Parforceritt durch die Schrift- und Buchmalerei-Geschichte als auch passend zu Vorbildung und Studienhintergründen der Besucher zusammengestellt, so für JuristInnen, (Kunst)historikerInnen, verhinderte Latein- und Griechischlehrer, Philosophen, Asienstudierende und SprachwissenschaftlerInnen (bei einigen Tresorstücken natürlich vertreten durch Faksimile).

Ausgehend von gut vier Jahrtausende alten mesopotamischen Keilschrifttafeln und -kegeln (Mon.script.cun. 2 u.a.) besprechen wir Schreibtechniken und Beschreibstoffe (hier: mit Griffelkanten eingedrückt in noch feuchten Ton) sowie die üblicherweise darauf festgehaltenen Inhalte – so auf einer Tafel aus dem Jahr 2034 v. Chr. die Urkunde zum Kauf eines Hauses, das mutmaßlich nicht mehr stehen dürfte.

Wir eilen weiter zu Papyri mit Eheverträgen aus ptolemäischer Zeit (Pap.graec.mon 5), Mitgift und Scheidung regelnd und sind bei der griechischen Schrift angelangt (mit potentiell Inhalten in hieratisch, demotisch, griechisch und koptisch).

Anschließend verfolgen wir an zwei spätantiken Beispielen die Entwicklung der lateinischen Schrift von der im Erscheinungsbild noch durch die Arbeitsweise der Steinmetze geprägten Capitalis Quadrata bis zur schon vom Schwung der Feder charakterisierten Capitalis Rustica[1]. Hier finden wir jetzt auch den in der Überschrift genannten Vergil, in Toga und mit iPhone in der Hand (in modischem Violett übrigens); die Wachstafel, dabei handelt es sich bei dem vermeintlich aus der Zeit gefallenem Exemplar, zeigt dabei auch, wie viel über alltägliche Entstehungsabläufe teils aus den Buchmalereien abzulesen ist: hier von den Dichternotizen in Wachs, bei Gefallen später auf Papyrus übertragen.

Papyrusrollen als Beschreibstoff haben wir mit den beiden Beispielen natürlich bereits hinter uns gelassen; die Feststellung, dass nahezu alles, was (vor allem im 5. u. 6. Jahrhundert) nicht in Pergamentcodices umgeschrieben wurde, heute bis auf wenige Zitate in anderen Werken verloren ist, leuchtet uns als frisch für die Bedeutung von Formatbeständigkeit und Langzeitarchivierung Sensibilisierten selbstverständlich sofort ein.

Dass die Erfindung des Pergaments aber in unmittelbarem Kontext mit dem Wettstreit zweier Diadochendynastien um die ausladendsten Bibliotheksbestände (und das deshalb in Alexandria erlassene Papyrusembargo für Pergamon) steht, weiß uns als Publikum natürlich besonders zu gefallen.

Ehe wir den Rest des Nachmittags bei Büchern (Pergament und Papier) bleiben, unternimmt Dr. Ikas einen letzten Exkurs zu weit exotischeren Beschreibstoffen und legt uns eine malaiische Palmblatthandschrift vor (Cod.jav. 1224): ziehharmonikaartig aufgefädelt, der Titel außen auf einer Art Münze, die Schrift eingeritzt mit einer Griffel-Spitze in frische Blätter, die Vertiefungen dann mit Asche gefüllt, was eine bleistiftgraue Färbung ergibt. Das besondere Konservierungsproblem liegt hier in dem Umstand, daß Material für eine nicht kleine Zahl Insekten zu den geschmacklich bevorzugten Nahrungsmitteln zählt!

Wir kehren zurück zur Buchform, genauer zu den Einbänden – in denen sich, als wertvolle Ressource recycelt, zahlreiche (damals als entbehrlich empfundene) Texte fragmentarisch überliefert finden. In unserem Fall ein Stück der Benedikts-Regel, geschrieben in einer gut lesbaren karolingischen Minuskel des 9. Jahrhunderts (Clm 29640(1).

An dem Beispiel lassen sich die besonderen Eigenschaften des tierischen Produkts Pergament (rauere Haar- und glattere Fleischseite, Löcher durch entfernte Blutgefäße) gut erfühlen. Und wir erfahren nebenbei (Stichwort Universalgelehrsamkeit in Zeiten der Kirchenferne) etwas über die Kerninhalte der Regula Benedicti  wie alltäglich zu verrichtende Arbeiten (das Kloster als autarker Wirtschaftsbetrieb), die einzelnen Klosterämter und Regeln zur Abtswahl.

Nach Gebrauchs- kommen wir zu Prachthandschriften, beginnend mit einem Faksimile des 1803 aus Bamberg an die BSB gelangten Perikopenbuchs Heinrichs II. (Clm 4452): wir werfen nicht nur einen Blick auf den namensgebenden Heinrich und seine Frau Kunigunde, beide von Christus gekrönt (das einzige heiliggesprochene Herrscherpaar des Mittelalters); jahreszeitbedingt hat Dr. Ikas uns reichlich Themen aus der Weihnachtserzählung eingemerkt: Verkündigung an die Hirten, den Stall von Bethlehem und weiteres. Wir erfahren, was ein Perikopenbuch ist (nach dem Kirchenjahr geordnete Evangelienstellen für den Gottesdienst) – und diskutieren Zusammenhänge zwischen dem Kürzel des Neujahrssegens[2] und den Dreikönigsnamen Caspar, Melchior und Balthasar.

Neben einer Reihe weiterer Bildthemen und zugehörigen Wissenshappen[3] gelangen wir zur Darstellung des Apostelfürsten Petrus, zu identifizieren durch das charakteristische Schlüsselpaar (auch wenn eine Kunsthistorikerinnen-Minderheitsmeinung aus unseren Reihen standhaft-tapfer darauf beharrt, die Frisur allein würde ausreichen, um ihn von Paulus – und allem andren Heiligen-Personal – zu unterscheiden). Und streifen kurz den mit den Schlüsseln verbundenen Vorrangs-Anspruch der Päpste, abgeleitet durch das Christuswort „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ (Tu es Petrus …).

Weiter blättern wir im Salzburger Evangelistar ( Clm 15713 ; mit einem Stempel, der einen zwischenzeitlichen Aufenthalt an der französischen Nationalbibliothek zur Zeit Napoleons belegt) und einer Ausgabe der Georgica (schon wieder Vergil!) aus der alten Hofbibliothek (mit entsprechendem Exlibris).

Unsere beiden Juristinnen erfreut Dr. Ikas mit dem Decretum Gratiani (Clm 14011), dessen Aufbau (innen Gesetze, außenherum Kommentar, am Rand Maniculae (kleine Zeigehändchen, die auf die Kernaussage hinweisen); Marginalglossen, Interlinearglossen) auch uns Laien tiefe Einblicke in die Freuden heiteren Juristenalltags ermöglicht. Die tiefe Rechtstreue der Profession belegen auch die noch am Einband vorhandenen Ringe zur Diebstahlssicherung mittels Kette im Lesesaal – bereichert um den Zwischenruf einer Kollegin, das sei bei den Jura-Beständen an der UB Regensburg heute noch so.

Den Abschluss bildet schließlich eine kolorierte Schedelsche Weltchronik von 1493 ( BSB-Ink S-195), gedruckt auf beim Blättern knisterndem Hadernpapier. Unter den 1.800 Illustrationen beschränken wir uns auf eine noch nicht gendersensibel ausgestalteten Schöpfungs-Darstellung, Holzschnitte von aufsehenerregenden ‚Einwohnern‘ der damals bekannten Welt (wie einfüßige Skiapoden) und einige der zahlreichen Stadtdarstellungen, für die die Chronik berühmt ist, neben Troja und Jerusalem eine süddeutsche Auswahl gemäß unseren Einsatz-Bibliotheken.

Einen kurzen Blick werfen wir noch auf ein Stück des 16. Jahrhunderts, den Flämischen Kalender ( Cod. lat. 23638), stellvertretend für bewusst überreich ausgestattete Handschriften als Luxusobjekte aus der Zeit nach Erfindung des Buchdrucks (selbst die die Kalenderbilder bevölkernden Bauern haben sich angepasst und tragen zur Feldarbeit Sonntagsstaat in leuchtenden Farben).

Damit sind wir schließlich ‚durch‘ mit 3.600 Jahren Buchgeschichte und beenden, leicht überdurchschnittlich wissensgesättigt, unseren Studiumstag.

 

 


[1] Vergilius Augusteus u. Vergilius Romanus, beide im Original in der Biblioteca Apostolica Vaticana


[2] Christus Mansionem Benedicat

[3] Sonne und Mond mit vor Trauer verhülltem Gesicht bei der Kreuzabnahme; die Himmelfahrt Christi und der feine Unterschied zwischen Ascension und Assumption; Posaunen zur leiblichen Auferstehung der Toten (mit noch etwas ‚ungesund‘ grau-grüner Gesichtsfarbe)

 

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1 Kommentar(e)

commilito |

18. Dezember 2019

Herrlich zauberhaft